Porträt Ruth Wolf-Rehfeldt: Die Typewriterin
Andere nehmen Pinsel oder werkeln mit Hammer und Meißel. Ruth Wolf-Rehfeldts künstlerisches Werkzeug hieß „Erika“. Die kompakte Reiseschreibmaschine aus VEB-Produktion bewährte sich tausendfach auch in Büros und Amtsstuben der DDR. Unter Wolf-Rehfeldts Händen wurde das mechanische Schreibtool zur virtuos bespielten Klaviatur der Kunstproduktion. Damit überwand sie leichtfüßig die ideologischen und faktischen Grenzen.
49 Tasten hat sie, die Erika. Soll das eine Beschränkung sein? Alles lässt sich damit machen, stellte die 1932 in Wurzen geborene Künstlerin fest. Als ausgebildete Schreibkraft war ihr das Handling ja bestens vertraut. Über viele Jahre sicherte ein Bürojob in der Ost-Berliner Akademie der Künste ihr und der dreiköpfigen Familie den Lebensunterhalt. Blatt einspannen, Walzendrehknopf justieren und zack, zack, zack klackern die Typen aufs Papier.
Schon bilden sich Wörter: NATUR. NATUR AND MEN. Wie Blätter wachsen die Begriffe an einem schnurgerade aus Pünktchen getippten Stängel und reihen sie sich zu einem Stück konkreter Poesie. MEN END NATURE. MEN END MEN. Zum Schluss bleibt nur noch eins: NATURE. Im Jahr 1972 hat Ruth Wolf-Rehfeldt das zierliche, radikal verknappte Wortgedicht „Evolution“. geschaffen. Es trifft ins Mark, heute angesichts von Klimakrise, Extinction Rebellion und Letzter Generation.
Verblüffend zeitlos ist, was Ruth Wolf-Rehfeldt zu Papier brachte. Unscheinbar geben sich die rund 75 teils winzigen Typewritings, Collagen, Zeichnungen und Zinkografien, die das Kupferstichkabinett von der frisch gekürten Hannah-Höch-Preisträgerin ausbreitet. Aber in ihnen steckt subtile Sprengkraft. Feiner Humor paart sich mit Hang zur Systematik. Die formale Strenge hält mit Minimalismus und Concept Art der 1970er Augenhöhe. Klischeevorstellungen von DDR-Kunst hebelt dieses Werk einfach aus.
Im Februar feierte die Künstlerin ihren 90. Geburtstag. Seit Jahrzehnten wohnt sie in einem kleinen Häuschen im Norden Berlins, irgendwo in Französisch-Buchholz. Mittlerweile allein: Ihr Mann Robert Rehfeldt, auch er Künstler und umtriebiger Initiator der Mail-Art in der DDR, ist längst gestorben. Die zierliche Frau meditiert viel, hegt ihren verwunschenen Garten, ist mit sich im Reinen und strahlt heitere Gelassenheit aus.
Ich hatte den Eindruck: Es gibt so viel Kunst, da brauche ich nicht auch noch welche machen.
Ruth Wolf-Rehfeldt, Künstlerin
Jedes Jahr zieht sie sich einen ganzen Monat für ein Retreat zurück. Aber zu ihren Ausstellungseröffnungen geht sie, freut sich – und staunt über ihre späte Wiederentdeckung. Sie hatte nicht mehr damit gerechnet. Seit die Arbeiten der betagten Newcomerin 2017 auf der Documenta gezeigt wurden, hört der Rummel nicht mehr auf. Eigentlich glaubte sie, einen guten Abschluss gefunden zu haben, als sie ihren Vorlass dem Museum Weserburg in Bremen übergab. Mittlerweile vertritt die Berliner Galerie ChertLüdde die Künstlerin und arbeitet ihr Werk akribisch auf. Ein Coup war der Soloauftritt auf der Art Basel 2016. Hunderte von Typewritings durften die staunenden Besucher:innen mit Archivhandschuhen aus Schubkästen ziehen.
Auch gänzlich abstrakte Kompositionen hat Wolf-Rehfeldt ihrem Fundus aus Zeichen und Sonderzeichen abgewonnen. Immer neue Varianten spielte sie durch. Raster entstanden, Flächen und Texturen. Ein Cluster aus „O“s ergibt andere Graustufen, als etwa eine Hundertschaft Pluszeichen. So ergaben sich räumlich-dreidimensionale Effekte, was es wiederum auszuloten galt.
Wenn etwas die Künstlerin interessierte, ließ sie nicht locker. Sobald sich die Sache erschöpft hatte, kehrte sie nicht mehr zurück. Genau diese Konsequenz erklärt auch, warum Ruth Wolf-Rehfeldt nach dem Fall der Mauer ihre künstlerische Arbeit einstellte. „Ich hatte den Eindruck: Es gibt so viel Kunst, da brauche ich nicht auch noch welche machen,“ erklärte sie unlängst in einem Filminterview lachend.
Anfangs, in den 1950ern, hatte sie kurz Philosophie studiert, auch mit Linguistik geliebäugelt. Dann begann sie zu malen. Ihre starkfarbigen Porträts, Stillleben und abstrakten Gemälde öffneten ihr den Weg in den DDR-Verband der Bildenden Künstler. Ohne eine Mitgliedschaft hatte man keinen Zugang zu Arbeitsmaterial, zu Druckwerkstätten. Aber der offizielle Kunstbetrieb mit seinen ideologischen Scheuklappen war nicht ihrs. „Was ich darf, will ich nicht“, heißt es in einem ihrer Typewritings. 1972 in ihrem Manuskript „Signs Fiction“, 1972 anlässlich eines Symposiums in Wroclaw verfasst, forderte sie alle auf: „Tippe deine eigene Kunst“.
Weit über 1000 der akkurat getippten Gedankenanregungen und Formfindungen hat die Künstlerin geschaffen, schätzt Galerist Florian Lüdde. Die meisten entstanden in den Abendstunden, nach Büroschluss zu Hause. Sie fanden ihren Weg in weit entfernte Orte rund um den Erdball. Denn Ruth-Rehfeldt ließ sich, zunächst nur aus Spaß, wie sie sagt, von der Mail-Art ihres Mannes anstecken.
Bis nach Brasilien, Venezuela, USA, Asien und Westeuropa reichte das weitverzweigte Netzwerk. Kunst sollte keine kommerzielle Ware sein, sondern Austausch. Unterm Radar der Stasi, die zwar die Künstlerpost oft abfing, aber nicht verstand, segelten die Sendungen. Antwort kam tausendfältig zurück. „Mail Art is a golden shower“ schrieb ihr der Minimalist Carl André auf einer Kitschpostkarte. Sie wiederum widmete Beuys eine Hommage, getippt in Form seines Markenzeichens Hut: „felt, fur and fat unter one hat“.
Früh hatte sich die Autodidaktin das Englische zu eigen gemacht, um international verständlich zu sein. Hunderte von Seiten füllen sie mit Listen assoziativ gereihter Wörter, hartnäckig die Tragfähigkeit von Sprache austestend. Später nutzte Wolf-Rehfeldt ihre Buchstaben und Sonderzeichen als reines Formmaterial, etwa in der umfangreichen Serie „Kuben, Käfige, Kästen“.
Im Kupferstichkabinett hängen die streng komponierten Blätter zwischen Sol Lewitts „Cube“-Varianten und den „Faltungen“ des DDR-Künstlers Hermann Glöckner. Aber sind sie tatsächlich rein abstrakt? „Das hatte natürlich schon was damit zu tun, dass man ja wie in einem Käfig saß,“ meint die Künstlerin. Als „Cage Beeings“ erweckte sie ihre geometrischen Konstrukte schließlich sogar figürlich zum Leben. Einige der Rasterwesen sollten 1989 wandfüllend eine Kita in Marzahn zieren, der Kunst am Bau-Auftrag war schon abgesegnet. Dann kam die Wende.
Jetzt ließ das Minsk-Kunsthaus in Potsdam die Arbeit aus farbigen Kacheln realisieren. Dort läuft im kommenden Frühjahr auch schon die nächste Soloschau Ruth Wolf-Rehfeldts. Ihr Titel „Nichts Neues“ ist so lakonisch wie ihr gesamtes Werk. Und natürlich komplett untertrieben.