Wenn das Mondlicht schwindet
Wenn eine Sängerin ihre vierte Platte herausbringt, und diese – Achtung: Spoiler! – auch noch gelungen ist, kann man mit Fug und Recht von einer etablierten Künstlerin sprechen. Dann fällt der Blick auf das Geburtsjahr von Birdy und – oh Gott! Die Engländerin ist erst 24! Doch Jasmine van den Bogaerde, wie sie eigentlich heißt, war schon immer für Momente des stillen Erstaunens gut.
Mit dem Klavierspielen angefangen hat sie mit fünf Jahren, an der Seite ihrer Mutter, einer Konzertpianistin. Ersten eigenen Song geschrieben: mit sieben. Songcontest gewonnen und erstes zehnmillionenfach geklicktes Video des Songs auf Youtube gestellt: mit zwölf. Internationalen Siegeszug angetreten mit dem Bon-Iver-Cover „Skinny Love“: mit 14.
Birdy, die den Spitznamen von ihren Eltern bekommen hat, weil sie als Baby ihren Mund beim Füttern so weit aufgerissen hat, legt ein Wahnsinnstempo vor. Es reißt einen zu Wunderkind-Elogen hin oder lässt einen die Hype-Maschinerie begrummeln, je nach Neigung.
Ihre erste, selbstbetitelte Platte enthielt fast nur Coverversionen, was nicht unbedingt als Beleg für die Substanz dieses erglühenden Sternchens am Pop-Firmament gedeutet wurde. Dabei hat ihr dieser Schritt vor allem die nötige Zeit verschafft, um die Schule abzuschließen.
Birdy lässt sich von Profis unterstützen
2013 und 2016 ließ sie mit „Fire Within“ und „Beautiful Lies“ zwei Platten mit eigenen Stücken folgen, jeweils unterstützt von Songwriting-Profis. Das ist auch auf dem Album „Young Heart“ (Atlantic) nicht anders.
Bei nahezu jedem Song taucht im Credit neben ihrem Namen noch mindestens ein weiterer auf. Manchmal von Kollegen wie Jamie Scott und Foy Vance, meistens aber vom Produzentenduo, das das Album mit ihr in Nashville aufgenommen hat: Daniel Tashian und Ian Fitchuk.
Die beiden sind ein Grammy-prämiertes Team aus der Country-Szene, das sich nicht damit begnügt, die Aufnahmen von den Reglern aus zu dirigieren. Die Multiinstrumentalisten bilden auf „Young Heart“ größtenteils Birdys Backingband. Jede Soundschicht haben sie so übereinandergelegt, dass ein organisch klingender Bandsound entstanden ist.
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So deutlich der Einfluss der Produzenten ist, so wenig wird Birdy in Interviews müde zu erklären, dass „Young Heart“ ihrer eigenen musikalischen Vision entspreche. Drei Jahre hat sie an den Stücken geschrieben, eine Trennung in ihnen verarbeitet und eine Schreibblockade niedergerungen. Nun ist das Album da und man nimmt es ihr ab, wenn sie sagt: Es ist ihr persönlichstes geworden, ihr liebstes.
Vielfalt in der Stimme
Bei ihren bisherigen Platten drängten sich stets auch Vergleiche zu anderen Künstlerinnen auf: „Hey, das klingt doch wie Adele! Wie Florence + the Machine!“
Nun scheint Birdy ganz bei sich angekommen. Was vor allem daran liegt, dass sie ihre Stimme nuancierter einsetzt. Sie stellt sie ganz in den Dienst der Songs.
Mal atmet sie viel Luft mit beim Singen, sodass ihre Stimme beinahe transparent wirkt. Dann wieder lässt sie sie an den Rändern in die Tiefe kippen und verleiht ihr so Volumen. Alles jedoch ganz natürlich, man spürt die Ernsthaftigkeit, mit der Birdy singt.
Das beginnt schon auf dem Opener „Voyager“, bei dem sich ihre Stimme frei von jedem Ornament in den warmen Strom der Instrumente schmiegt. „I won’t wait for you, I’m already gone. Like moonlight leaves with the dawn“, besingt sie den Moment in einer Beziehung, wenn der einen Person schon klar ist, dass sie weiterziehen wird, die andere aber noch im Gefühl seliger Unwissenheit schwebt.
Der Sound hüllt einen wie in Watte, gediegen und handgemacht wie der Softrock der Siebziger. Man möchte laut aufdrehen und schon beim ersten Hören mitsingen – und kann das auch, was Einiges aussagt über diese Musik.
Lautes Mitsingen ist drin
Birdys Songs sind brutal eingängig, ohne übermäßig süßlich zu klingen. Sie treiben ein bezwingendes Spiel mit dem Pathos: Ein behutsam instrumentierter Vers mündet in eine kurze Atempause, bevor zum Refrain alles ein Schippchen zulegt und so richtig drauflosschwelgt.
Fast wie beim Rave, wo nach dem sogenannten Drop der Beat wieder einsetzt und die Menge johlt. Bei Birdy funktioniert das im Kleinen: Ihre Songs wollen sich in die Haut versenken und die Härchen zu Berge stehen lassen – und schaffen das auch immer wieder.
Zum Beispiel bei „Surrender“, der das musikalische Programm schon im Titel trägt. Die Produktion setzt alle Hebel der Überwältigung in Bewegung: hier noch ein bisschen Background-Huhu, dort ordentlich Hall unter das Klavier, Streicher, die hineinwallen. Das ist gekonnt, aber auch berechnend und wiederholt sich im Laufe der 16 Songs der Platte ein paarmal zu oft.
Dass man trotzdem nicht das Interesse an „Young Heart“ verliert, liegt an Ausreißern wie dem geisterhaften „Celestial Dancers“. Birdys Klavier dreht Pirouetten, darunter groovt das Schlagzeug, sogar eine Harfe rauscht durch den Sound.
Ein starker Song, der auch zeigt, dass die Musikerin allen Entwicklungssprüngen zum Trotz nicht am Ende ihrer Songwriter-Künste angelangt ist.