Kiezkunst statt Oper
Sie schicken sich SMS mit Gedichten und wenn der Präsident lange Reisen antritt, stellt sie Lektüreempfehlungen zusammen. Die neue französische Kulturministerin Rima Abdul-Malak und Emmanuel Macron sind enge Vertraute in Kulturfragen. Sie war im Élysée-Palast in den letzten zweieinhalb Jahren die Leiterein seiner Kulturabteilung. Traditionell leistet sich Frankreich neben dem Kulturministerium eine Art Schattenkulturpolitik im Präsidialamt, die in der Geschichte der fünften Republik mitunter konfliktfreudig in die Arbeit des Kulturministeriums hineinregierte. Kultur ist vor allem für einen Präsidenten Chefsache, der bei seinem Wahlkampf vor fünf Jahren gerne seine Assistenz beim Philosophen Paul Ricœur zur Sprache gebracht hatte.
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Nach der Schlappe bei den Parlamentswahlen, bei denen Macrons Wahlbündnis „Ensemble!“ die absolute Mehrheit weit verfehlte und für Frankreich nun die Frage der Regierbarkeit im Vordergrund steht, darf man sich aktuell allerdings mehr Sorgen um politische Kultur als um Kulturpolitik machen. Die von Jean-Luc Mélenchon geführte Nupes, zweite Kraft nach der Wahl, zerfällt schon wieder in ihre Einzelteile: Grüne, Sozialisten und Kommunisten wollen als Einzelfraktionen auftreten und überlassen dem rechtextremen Rassemblement National unter der Führung von Marine Le Pen die Rolle der stärksten Oppositionspartei.
Beide Kräfte, das zerfallende Linksbündnis und die Nationalisten, werden Macrons Regierung das Leben auch kulturpolitisch schwer machen, egal ob der Präsident nun doch noch eine für Frankreich untypische Koalition zum Beispiel mit den konservativen Les Républicains zustande bringt, oder für jedes Gesetzesvorhaben um eine Parlamentsmehrheit werben muss.
Konflikte mit den Rechten
Konflikte sind vorprogrammiert, zunächst mit den Rechten: Macron hatte die für das französische Selbstverständnis so zentralen Ressorts Kultur und Bildung in die Verantwortung von Menschen gegeben, die Diversitätskriterien bestens entsprechen: Rima Abdul-Malak für die Kultur, Pap Ndiaye für die Bildung. Geflüchtetenkind des libanesischen Bürgerkrieges die eine, Historiker und Spezialist für zumal schwarze Sozialpolitik in den USA und Frankreich der andere.
Die französische Rechte schäumte nach der Ernennung des schwarzen Ndiaye, Bruder der Prix Femina und Prix Goncourt-Preisträgerin Marie Ndiaye: „Wokismus”, „Indigenismus“, letztlich rassische Voreingenommenheit und Verrat der französischen Werte warf man dem neuen Bildungsminister vor. Bei ihrer Amtseinführung sagte die neue Kulturministerin: „Ich werde massiv für die Kunsterziehung eintreten, den Kunstunterricht. Es geht darum, in unserer Jugend die Lust auf Kultur zu entwickeln. Und ich freue mich darauf, das mit Pap Ndiaye, unserem neuen Bildungsminister, zu tun.“
Plädoyer für Kunstunterricht
Tatsächlich hat die neue Ministerin in den ersten vier Wochen nach Amtseintritt vor allem Bildungseinrichtungen besucht und sich für den Kunstunterricht stark gemacht. Außerdem betreibt sie weiter die Entwicklung des „Pass Culture“, einem der Hauptanliegen des Präsidenten in Kulturfragen: Eine jährliche staatliche Fördersumme von 300 Euro für den Kulturkonsum eines jeden Jugendlichen. Das Geld soll natürlich vor allem jungen Menschen aus bildungsfernen Schichten zugute kommen. In der kulturellen Bildung gibt es durchaus Berührungspunkte mit den Parteien des linken Lagers, die gerne von der „Culture de proximité“ sprechen: „Eine Kultur der Nähe ist eine, die für alle zugänglich ist. Durch die Unterstützung von Buchhandlungen, kleinen Theater und Kinos. Wir wollen, dass es nicht einen einzigen blinden Fleck auf der französischen Kulturlandkarte gibt.“ Das sagte eine der Autorinnen der „Kulturfibel“ von Mélenchons La France Insoumise, Coline Bouret. Regierung und die künftige linke Opposition sprechen in gleichlautenden Schlagworten von der Bedeutung der „Education artistique et culturelle“ als großem Ziel. Die Grünen, die ein wichtiger Teil von Mélenchons Nupes sind, haben in den seit wenigen Jahren von ihnen regierten Großstädten bereits bewiesen, wie sie das meinen: Kiezkultur statt teure Oper.
Konsens in der Bildungspolitik, Dissens in der Medienpolitik. Dem Plan des Präsidenten, die Rundfunkgebühr abzuschaffen und sie durch staatliche Finanzierung zu ersetzen, wird sich die linke Opposition im neuen Parlament heftig widersetzen. Sie befürchten eine Gängelung der öffentlichen Medienlandschaft.
Bestens in der Kulturszene vernetzt
Rima Abdul-Malak weiß, dass die digitale Revolution und die Streamingplattformen die Medienlandschaft radikal umkrempeln werden. Hierin war sie sich mit der scheidenden Kulturministerin Roselyne Bachelot bei ihrer Amtseinführung einig, die von einer sehr freundlichen Atmosphäre geprägt war. Beide kennen sich; anders als ihre Vorgängerin hat die neue Kulturministerin zwar keinerlei politisches Gewicht, ist aber in der Kulturszene bestens vernetzt und in die Dossiers eingearbeitet.
In ihrer zweijährigen Amtszeit musste Roselyne Bachelot die von Corona massiv bedrohte Kulturszene vor dem Untergang retten. Rima Abdul-Malak war hierbei die Architektin des Coronarettungsplanes für prekär Beschäftigte im Kulturbereich. Ihr gab Bachelot eine Warnung mit auf den Weg: „Es bestehen immer noch große Risiken für die Kultur. Wir konzentrieren uns bei der digitalen Revolution immer auf die medialen Kanäle und nicht auf die Inhalte. Die Kultur darf nicht zerfallen, sich nicht auflösen in Technologie.“ Dem bleibt nur hinzuzufügen, dass sich die Kultur auch ebenso wenig in Pädagogik auflösen möge. Denn wenn Macron die Nupes und ihre Linke und Grüne von Kultur sprechen, dann meinen sie derzeit eigentlich immer nur Kulturpädagogik.