Saisonauftakt des Deutschen Symphonie-Orchesters: Auf ins Ungewisse

Besser nicht wecken. Wie ein schlafendes Ungeheuer liegt die Musik in der Höhle der Philharmonie, räkelt sich, grummelt leise, dämmert dahin – und wird zum Glück tatsächlich nicht wach. Morton Feldmans halbstündige Orchesterkomposition „Coptic Light“ (1986), mit der das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin unter Chefdirigent Robin Ticciati seinen Musikfest-Abend eröffnet, bleibt genauso, wie sie anhebt: halblaut, amorph, einen sanften Schimmer verströmend.

Mal setzen sich die Streicher mit Drei- oder Vier- Ton-Motiven behutsam von der diffus changierenden Klangoberfläche ab, mal treten die Trompeten und Posaunen mit Liegetönen ein wenig hervor, mal die vier Vibraphone mit gemächlichen Pendelbewegungen oder die arpeggierenden Harfen.

Minimal Music in Slowmotion, eine Art Ursuppe: interessante Werk-Wahl zum Saisonauftakt des DSO. Dabei wechselt das Farblicht im Saal, der mal ganz in Blau, mal in Rot, mal in Grün getaucht wird. Eine Verstärkung, die die Musik eigentlich gar nicht nötig hat.

Allerdings erschöpft sich die Trance-Wirkung des vom koptischen Teppichhandwerk angeregten Klang-Flechtwerks schon recht bald. Man driftet weg mit den Gedanken oder spielt Suchbild: Wer bitte erzeugt kurz vor Schluss diesen Waber-Effekt, die Vibraphone? Und sind die immerhin zehn Kontrabässe wirklich so gut wie gar nicht zu hören?

Ganz anders zunächst Igor Strawinskys Violinkonzert von 1931: klare Konturen, pointierte, wendige Gestalten, tückische Synkopen und Taktwechsel – Ticciati ist in seinem Element mit seinem akkuraten, aber immer eleganten, geschmeidigen Dirigat. Solist Leonidas Kavakosscheint sich hingegen dem Feldman-Sound verpflichtet zu fühlen und bleibt lieber im Ungefähren. Als ob die Augenhöhe, die Strawinsky beim dialogischen Miteinander von Orchester und Geige vorgibt, auf Indifferenz hinauslaufen müsse. Mit Kavakos’ meditativer Bach-Partita-Zugabe sorgt er dann doch für gespannte Stille im Saal, in ihrer Tadellosigkeit lässt sie einen gleichwohl eher ratlos zurück.

Ein Programm voller flächiger Klanggewebe, live vom Deutschlandfunk Kultur übertragen: Auch Jean Sibelius lässt die Musik schier unendlich dahinströmen in der Tondichtung „Tapiola“ (1926), benannt nach dem finnischen Waldgott Tapio. Aus dem markanten Eingangsmotiv entfalten sich Landschaftsimpressionen, Träumereien, Farberuptionen, mal zarte, mal bedrohlich sich türmende Wolkengebilde. Eine Expedition ins Ungewisse, mit verblüffenden Perspektiv- und Stimmungswechseln.

Bis das Riesentier vom Beginn des Abends schließlich doch noch erwacht, mitten im anschwellenden Summkonzert der tremolierenden Streicher. Sehr schön das zittrig-bebende, langsam verdämmernde Ende. Begeisterter Applaus.

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