Wenn die Welt untergeht: Das Kollektiv DIS macht sich Gedanken

DIS, da war doch was! DIS, das Kollektiv aus New York, hatte seinen Auftritt auf der 9. Berlin Biennale vor sieben Jahren. Damals übernahm das Team die künstlerischen Leitung – zu einer Zeit, als das kollektive Kuratieren, vor allem aber die gemeinsame Entscheidung noch relativ neu im Kunstbetrieb war. Und nicht alle zeigten sich damals von der Wahl überzeugt.

Bei DIS, die sich der „Post-Internet Art“ zurechnen, bleibe vieles an der Oberfläche, hieß es. Kritische Interventionen und affirmative Strategien würden sich derart ähneln, dass man manchmal nicht mehr wüsste, ob die Glätte und reibungslose Konsumierbarkeit der Arbeiten nicht doch vollkommen ernst gemeint sei. Nach dem optischen overload jener Biennale mit ihren vielfach aus dem Digitalen schöpfenden Beiträgen war in Berlin länger nichts von DIS zu sehen und zu hören. Was keinesfalls heißt, dass es um die Gruppe mit ihren wechselnden Kollaborateuren ruhig geworden wäre. Es gab diverse Ausstellungen in Häusern wie dem MoMA, zuletzt kuratierte sie erneut eine Biennale; diesmal im Winter 2021 in Genf mit dem Schwerpunkt auf Videoproduktionen.

Man sitzt auf Heizdecken und schaut auf Hyper-Wirklichkeiten

Es ging um Selbstakzeptanz und (natürlich) erneut Konsum, um okkultes Wissen und Zweifel an der Linearität von Geschichte. Statt einer wurden viele Wahrheiten vorgestellt, je nach Perspektive der fluiden Charaktere. Mittendrin: die Videocollage „Everything But The World“ als neueste DIS-Eigenproduktion. Das ist nun auch schon wieder ein gutes Jahr her – und dennoch springt einen das Video mit seinen Hyper-Wirklichkeiten nun im Schinkel-Pavillon so unmittelbar an, als sei es gestern produziert worden.

Auf Heizdecken sitzt man im oktogonalen Ausstellungsraum und lässt sich 40 Minuten lang vollrauschen. Schnelle Schnitte, wechselnde Protagonisten, ein Strudel aus scheinbar unzusammenhängenden Geschichten: „Everything But The World“ ist so prallvoll, dass sich der private Kunstverein ganz auf die Präsentation des einen Videos konzentriert. Es wirkt etwas ungewohnt nach den letzten Mega-Projekten, die vom oberen Stockwerk bis tief in die Kellerbar mit ihrem Labyrinth aus gekachelten Zellen reichten. Aber gut, das alles aufsaugende filmische Material im Stil einer Doku-Sci-Fi-Folge fordert Augen und Ohren gleichermaßen und stellt gleich zu Beginn eine provokante These auf: Ein überdrehtes Duo parliert hier über die Qualitäten von Fossilien. Zu schade bloß, dass heute niemand mehr ein Fossil sein möchte.

Im Drive-in gibt es statt Burger einen Monolog

Dabei sei ohnehin alles im transformativen Untergang begriffen. Hinter Phrasen von gestern wie Fortschritt oder Eigentum lauere – die Transapokalypse. Was immer das ist oder wohin sie die Menschheit führt, vermag DIS momentan auch nicht zu sagen. Bloß, dass vieles anders wird, weil der alte Zustand unweigerlich zum Aussterben führt. Das Kollektiv lässt keinen Zweifel an der Verantwortung für diesen Zustand. Die menschliche Spezies, ein kleines Licht im Vergleich etwa zur Verweildauer der Dinosaurier auf diesem Planeten, hat ihn verursacht und muss sehen, was sie daraus macht. Das Video zeigt mögliche Reaktionen: Yoga in Skorpion-Pose, Tanz im Schlamm oder doch Fossil werden. Was nicht geht: Einfach so weitermachen wie bisher. Wer es dennoch versucht, bekommt in der Drive-in-Zone eines Burgerladens statt seiner Bestellung einen langen, philosophischen Diskurs über das Ende der Menschheit geliefert.

Angriff auf einen Pappkarton und seinen Bewohner

DIS, zu denen diesmal die Künstler:innen Ryan Trecartin und Lizzie Fitch gehören, haben sich die hierzulande unbekannte Burgerkette „White Castle“ ausgesucht. Mit Absicht: Die Vorgehensweise im Video ist assoziativ, vom Burgerbrater schwenkt das Video zu einer echten Burg als Nukleus von Kapitalismus und Besitztum. Bald darauf referiert ein New Yorker Anwalt den juristischen Fall eines Obdachlosen, dessen Pappkarton angegriffen wurde. Darf er sich ebenso verteidigen wie der Besitzer eines Hauses, auch wenn der „Einbrecher“ dabei verletzt wird?

Die Antworten auf ein Wissen, von dem wir eben noch nicht ahnten, dass wir es brauchen, sind weder neu noch überraschend. Dennoch bleibt man wie gebannt sitzen, weil DIS am Ende doch die Fäden zusammenführt: Die Welt kollabiert, weil Gier und Konsumwut als zerstörerische Kräfte wirken. Mit ihrer durchaus plakativen Kritik treffen sie den Nerv einer digitalen Generation, die Wissen als mediales Schnellfeuer adaptiert. Als Konsequenz bietet das Kollektiv Vermittlungsformate auf der Höhe der Zeit, bildgewaltig und so temporeich, dass einiges an Komplexität auf der Strecke bleibt. Aber doch eine Möglichkeit, Aufmerksamkeit zu generieren.

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