„Geil hier, voll der Flash“
Endlich mal wieder eine passende Gelegenheit, den Udo-Lindenberg-Hut aufzusetzen – das haben sich sicher so einige der 22 000 Zuschauer beim Konzert von Udo Lindenberg in der ausverkauften Waldbühne gedacht. Die Sonnenbrille, das andere Markenzeichen von Udo, die er bestimmt sogar unter der Dusche trägt, die sieht man an diesem sowieso trüben Freitagabend nur selten.
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Aber Lookalikes können sich noch so sehr bemühen: Am Udo-mäßigsten sieht der 76-Jährige Musiker immer noch selbst aus. Allein das Knautschgesicht, das man zumindest über die Videoleinwände in der riesigen Freiluftarena deutlich erkennen kann, bleibt unnachahmlich.
Alles verändert sich, aber Udo bleibt Udo. Er ist das große Original der deutschsprachigen Rockmusik.
Der Typ, der in einem Hamburger Hotel lebt und in Interviews seine coolen Sprüche nuschelt, wobei er gern den Reichen und Mächtigen einen mitgibt. Dafür lieben ihn die Leute. Und wie. Nicht nur einmal füllt er die Waldbühne an diesem Wochenende, sondern am Tag darauf ein zweites Mal.
„Wozu sind Kriege da“, singt Udo
Lindenberg liefert dann auch nicht nur eine solide Udo-Show, sondern streckenweise regelrecht ein Spektakel. Man erlebt mehr als nur ein Konzert, auf dem Linderberg gemeinsam mit seinem altehrwürdigen Panikorchester Klassiker von „Honky Tonky Show“ bis hin zum unvermeidlichen „Alles klar auf der Andrea Doria“ vorträgt.
Nein, das Ganze ist eine Revue mit Kinderchor, Gastmusikern und Tänzern. Sogar als Flamingos verkleidete Personen sind zu sehen. Lindenberg selbst zieht sich zweimal um: Lederjacke, marineblaue Uniform, schwarzes Sakko, die Udo-Looks der letzten Dekaden.
Und er ist politisch. So, wie er es eigentlich immer ist. Er spricht sich gegen Nazis aus und zeigt dabei den Stinkefinger. In „Bunte Republik Deutschland“ zieht er an einem symbolischen Riesen-Spliff: ein Fingerzeig in Richtung Karl Lauterbach, endlich mal die angekündigte Legalisierung voranzutreiben.
Und Songs wie „Wozu sind Kriege da?“ und „Wir ziehen in den Frieden“ wirken so dringlich wie nie. Wir brauchen wieder Utopien, sagt Lindenberg, es gehe um die Zukunft der Kinder. Hinter ihm wird währenddessen das „Peace“-Zeichen auf eine Leinwand projieziert. Das mag angesichts der realen Lage in der Ukraine leicht naiv wirken, da sich Putin von derartigen Botschaften unbeeindruckt zeigt. Aber etwas mehr Frieden auf der Welt kann sicherlich nie schaden.
Wenn man Udo Lindenberg so auf der Bühne hin- und herspazieren und diese speziellen Udo-Tanzbewegungen ausführen sieht, denkt man sich: Fitter kann Mick Jagger auch nicht sein. Keine Pause gönnt er sich, höchstens mal, um „geil hier“ und „voll der Flash“ in Richtung Publikum zu nölen.
Der Wokeness-Grad ist gar nicht mal so klein
Interessant ist auch, dass Lindenberg mehr sein will als ein alter weißer Mann. Fast woke wirkt es, dass er nicht nur mit zwei Gastsängerinnen Duette intoniert, sondern auch seiner Saxophonistin die Bühne frei macht und das markanteste Gitarrensolo nicht von seinem guten alten Panikorchester-Kumpel vortragen lässt, sondern von einer Frau.
Lindenberg ist nicht mehr der Jüngste. Aber er kein Fossil, das gesellschaftliche Entwicklungen ignoriert. Diversität in der Rockmusik? Aber bitte mit Udo.
Irgendwann geht es natürlich auch im Sonderzug nach Pankow, und innig singt das Publikum Textzeilen wie „Hinterm Horizont geht’s weiter“ mit und schwenkt dazu die Handy-Lämpchen. Jetzt könnte die Show auch langsam austrudeln. Aber dann kommt doch noch was. Ein Special-Guest betritt die Bühne, und Lindenberg tut ganz überrascht. „Wie geil, dass Du hier bist“ sagt er, und dann steht Otto mit ihm auf der Bühne, Ottifanten-Otto, der mal richtig witzig war, aber seit Jahrzehnten bloß noch seine eigenen Gags aufwärmt.
Ein paar uralte Otto-Witze gibt er dann auch in der Waldbühne zum Besten. Das Gelächter bleibt dezent. Otto und Udo Lindenberg kennen sich seit einer halben Ewigkeit. Sie haben mal gemeinsam in einer sagenumwobenen WG gelebt, zusammen mit Marius Müller-Westernhagen. Jahrzente ist das her. Und heute ist Otto immer noch Kumpel von Udo Lindenberg und singt jetzt gemeinsam mit ihm eine Coverversion von AC/DCs „Highway to Hell“. „Erst auf dem Heimweg wird’s hell“ heißt der Song nun bei den beiden, die als Extra-Showeinlage noch den berühmten Watschelgang von AC/DC-Gitarrist Angus Young imitieren. Zum Glück verschwindet Otto bald wieder.
Auf dem Heimweg von der Waldbühne wird es zwar noch nicht hell, aber mehr als zwei Stunden lang Udo-Rock in den Knochen sorgen für Beschwingtheit. Man könnte mit einem anderen großen Rocker auch sagen: Hey, hey, my, my, Rock’n’Roll will never die.