Himmel und Hallig: Küsten-Fotos des Bauhausschülers Fritz Schleifer
„Küstenland“ sollte das Fotobuch heißen, das 1939 im damals renommierten Verlag Heinrich Ellermann im Gespräch war, eine Fotoreise zu den nordfriesischen Inseln und der dänischen Küste. Es kam jedoch nicht zur Drucklegung, zu sehr divergierten die Ansichten zwischen dem Fotografen Fritz Schleifer und dem Hamburger Verlag.
Wer war dieser Mann, dessen Name bis heute in keinem Fotografenlexikon zu finden ist? 1903 in Hamburg geboren, hatte Schleifer am Weimarer Bauhaus von 1922 bis 1924 den legendären Vorkurs absolviert, war mit Gropius, Feininger, Kandinsky und Moholy-Nagy bekannt und 1930 an die Landeskunstschule in Hamburg berufen worden. Da hatte er sich als Architekt, begabter Zeichner, Möbeldesigner und eher nebenbei als Fotokünstler einen Namen gemacht. 1933 erfolgte für ihn wie für seinen Kollegen Alfred Ehrhardt prompt die Entlassung als missliebige Vertreter der Moderne.
Jahre nach Schleifers Tod 1977 stießen Schleifers Sohn Jan und der Kurator Hans Bunge im Keller des Hauses auf ein Konvolut aus 128 Vintageprints sowie mehrere Notizbücher. Aus ihnen konnte Bunge den geplanten Umfang der Projekt gebliebenen Edition rekonstruieren.
48 Fotos aus dem Konvolut hat er für die Präsentation in der Alfred Ehrhardt Stiftung ausgewählt: Da führen tiefe Furchen immer weiter und weiter durchs Wattenmeer, Wege verzweigen sich bis hin zu einem fernen Horizont, weiße Wolken schweben über dem Land. Man wird nicht müde, Schleifers Fotoreise in den Norden zu folgen. Die wieder entdeckte, sorgfältig aufbereitete Fotoserie ist für alle Freunde der klassischen Schwarzweißfotografie ein wahres Geschenk.
Der Ort der Ausstellung und die Kollegenschaft von Schleifer und Ehrhardtan der Landeskunstschule legen freilich den Vergleich der unterschiedlichen Herangehensweisen nahe. „Schleifer ist fasziniert vom menschlichen Eingriff in die Natur“, schreibt Christiane Stahl im Katalog. Noch deutlicher wird sie mit der Feststellung: „Bei ihm liegt die Schönheit mehr im Konstrukt des Bildes selbst als in der Schönheit des Motivs“.
Wolken, Baumreihen, Wagenspuren
Tatsächlich spürt der Betrachter in jeder Aufnahme den Konstrukteur, der sich am Anblick des gewundenen Gleisbetts einer Lorenbahn auf einer Halligen-Insel, der schwarzen Wagenspuren im Wattenmeer, der am Ufer liegenden Fischerkähne oder auch mal an der Draufsicht auf die seinerzeit noch in lockerem Abstand verteilten Strandkörbe auf Sylt erfreut.
Einmal steht da auch ein Pferd, einsam und wie verloren in einer Koppel. Der Blick geht zu der Baumreihe, den reetgedeckten Häusern und den Wolken am Himmel. Wie zur Ausfahrt steht ein Boot bereit. Oder zur Flucht vor dem, was kommen mag?
Fritz Schleifers Küstenland erweist sich in jeder Aufnahme als von menschlicher Hand geprägt. Weitere Eingriffe können bevorstehen. Wo Bahngleise angelegt werden, ist die Industrie nicht weit, wo ein Dutzend Strandkörbe herangekarrt sind, können es bald hundert sein. Alfred Ehrhardt suchte andere Motive, weil er anders dachte. Bahngleise, Fischerboote und Gehöfte ließ er links liegen, um schier unermüdlich dem Wirken des Windes, dem Strömen von Wellen und Sand nachzuspüren, den Naturgleichnissen für Werden und Vergehen, Auflösung und Neubildung alles Geschaffenen.
Der Hinweis auf die markanten, keineswegs nur formalen Unterschiede zwischen beiden Fotografen soll die faszinierende Wirkung von Schleifers Fotoserie vom Küstenland nicht schmälern. Sein Ansatz kommt noch aus der Schule des Neuen Sehens, die in den zwanziger und dreißiger Jahren in Europa und Amerika stilbildend wirkte, geprägt vom Fortschrittsglauben verschiedener ideologischer Herkunft. Ungebremst konnte Fritz Schleifer aufgrund seiner Erfahrung daran wohl schon nicht mehr teilhaben. Seine Wege im Küstenland führen in ein Traumland zwischen Bewahrung und stiller Resignation.
Die Fotografien sind unverkäufliche Unikate. Erworben werden kann jedoch der von Hans Bunge herausgegebene Katalog, der unter dem Titel „Der Verlust der Mitte“ die gesamte Breite von Fritz Schleifers künstlerischem Schaffen erkennen lässt.