Soundkünstler Evgueni Galperine: Blechfanfaren vor dem großen Sturm
Was in dieser musikalischen „Theory of Becoming“ eigentlich wächst und wird, wo doch alle Zeichen auf Untergang stehen, ist am ehesten ein Bewusstsein unheilbarer Trauer. Schon die Titel, die Evgueni Galperine, ein Pariser Filmkomponist mit russisch-ukrainischen Wurzeln, ihren zehn Kapiteln gegeben hat, vermitteln wenig Hoffnung. Sie erzählen von einer Stadt, die noch vor der Abenddämmerung einem Feuer zum Opfer fallen wird, von Kaltfronten und Stürmen, von einer plötzlichen Leere und dem jüdischen Totengebet Kaddisch.
Die Soundscapes, die Galperine im Studio zu einer „augmented reality of acoustic instruments“ zusammengefügt hat, stehen ihnen an surrealistischer Düsternis in nichts nach. Das Unheil pfeift aus allen Ritzen. Das Pochen und Dröhnen von Synthesizern vermählt sich mit Samples und den stotternden Fanfaren von Sergei Nakariakovs elektronisch multiplizierter und bis in Posaunen- und Tubaregionen transponierter Trompete. Diese orchestralen Blechgebirge, in denen eine unheimliche Truppe zum Angriff zu blasen scheint, sind höchst originell. Umso gewöhnlicher wirken dagegen einige Streicherpassagen, die sehr nach verdünntem Arvo Pärt klingen.
Die imaginative Kraft dieser Musik konkurriert außerdem immer wieder mit dem bloß Illustrativen – und so mancher kitschigen Aufwallung. Galperine, der in seinen Stücken nachträglich Bezüge zum Ukrainekrieg entdeckt hat, steht der Ästhetik von Soundtracks in vielem noch zu nah – auch wenn er diesmal die Produktionsreihenfolge umgedreht hat: Im Auftrag des Genter Filmfestivals ließ er vier Videokünstler seine Musik in Bilder übersetzen.
Evgueni Alperine: Theory of Becoming (ECM Records).
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