„Onkel Wanja“ im Schlosspark Theater : Im Minus bei der Existenz-Inventur
Komödie oder Tragödie? Das ist die älteste aller Tschechow-Fragen, und nicht wenige Theater neigen unverdrossen dazu, die Stücke ganz nach Wunsch des Autors als Humoresken zu labeln, sich dann aber doch in bedeutungsseliger Samowar-Melancholie zu verlieren.
Anders am Schlosspark Theater, das ja einen wacker erworbenen Ruf als Lustspielhaus verteidigt (und das zunehmend mit Weltliteratur, siehe zuletzt: „Der König stirbt“ oder „Biedermann und die Brandstifter“). Hier in Steglitz hat der österreichische Regisseur Anatol Preissler jetzt einen „Onkel Wanja“ inszeniert, der in neuer Übersetzung (von Preissler selbst und seiner Frau Ekaterina Bezghina) die letzten Zweifel am Spaßmacher Tschechow zu beseitigen beabsichtigt.
Gescheiterte Gutsmenschen
Und es stimmt ja: Sie sind auf ihre ganz eigene Art komisch, diese verlorenen Landgutgewächse, denen der Autor mehr oder weniger mitleidlos beim Trinken, Lamentieren, unglücklich Lieben und sich selbst Betrügen zuschaut. Lauter Menschen, die ihr eigenes Leben vorüberziehen sehen wie beim Trainspotting (gibt es „Lifespotting?“), die bei der Existenz-Inventur auf ein fettes Minus stoßen.
Preissler, der am Schlosspark Theater unter anderem schon „Adel verpflichtet“ oder „Was zählt, ist die Familie“ inszeniert hat, ist auch der Bühnenbildner dieser Produktion. Für seinen Tschechow hat er einen ziemlich komödientauglichen Raum in den Komplementärfarben Blau und Rot entworfen. In Zacken verlaufende blaue Wände und Treppen, rote Fenster, Türen, Tische sowie einem ebenso feurigen Klavier. Ein Raum also, der sich dem Flair dieses Landguts aus dem späten 19. Jahrhundert verweigert, das Wojnízkij, aka „Onkel Wanja“, seit Jahr und Tag aufopferungsvoll für seinen Schwager Serebrjaków verwaltet, den Literaturprofessor aus der großen Stadt.
Astrow-Pop und Käfer-Song
Dieser gichtgeplagte Intellektuelle ist nun in den Ruhestand geschickt worden und lässt sich mit seiner zweiten, viel jüngeren Frau Jelena auf dem Gut nieder, wo er allen mit seinen hypochondrischen Anfällen und seinen Langschläfer-Allüren auf die Nerven fällt – nicht zuletzt der alten Amme Marína, die Männer gern mit schnatternden Gänserichen vergleicht (bestürmend kauzig von Dagmar Biener gespielt).
Wanja – bei Boris Aljinovic ein zwischen Selbstaufgabe und Restansprüchen ans Leben zerrissener Zweite-Reihe-Mensch – leidet vielmehr unter der Erkenntnis, dass Serebrjaków (höchst amüsant um sich selbst kreisend: Tilmar Kuhn) in geistiger Hinsicht nur ein kleines Licht ist: „Kein Blatt seines Werks wird ihn überleben“.
Aussichtslose Begierden
Und wo wir vom Scheitern sprechen: Selbstredend verstricken sich die unglücksseligen Tschechow-Figuren in aussichtslose Begierden. Wanja hat sich in Jelena verguckt (der Dagmar Biener einen schönen Trophy-Wife-Trotz verleiht), seine Nichte Sonja – von Helen Barke sehr fein zwischen Ernst und hintersinnigem Witz balanciert – ist schon seit Jahren in den Arzt und Umweltaktivisten Astrow verliebt.
Dieser Wodka- und Birken-Aficionado (Mark Weigel stattet ihn mit süffisantem Sarkasmus aus) hat aber ebenfalls ein Auge auf Jelena geworfen. So schließt sich der Kreis zwar nicht, aber ein amouröses Karussell der Vergeblichkeit kommt in Gang. An der Gitarre begleitet von Mario Ramos als Faktotum Telegin, der vom flotten Russen-Pop bis zum grünen Gänsehaut-Song „Karl der Käfer“ so ziemlich alles draufhat.
Ähnlich breit ist die Humorspanne dieses „Wanja“-Abends. Die Fassung von Preissler und Bezghina, die auf Heutigkeit, Schnörkellosigkeit und komödiantische Zuspitzung setzt, funktioniert über weite Strecken gut. Als Regisseur überreizt Preissler (gerade nach der Pause) aber bisweilen den Slapstick – als hätte er Sorge, dass irgendwer das Geschehen doch zu ernst nehmen könnte. Aber dem hat Tschechow selbst schon ausreichend vorgebaut.