Wirtschaftsingenieurin, Charité-Arzt, Musikerin: Das ist unsere siebenköpfige Berlinale-Leserjury
Aus 24 Filmen der Sektion Forum wählen die sieben Juror:innen der Tagesspiegel-Leserjury dieses Jahr ihren Favoriten. Am Donnerstag starteten die sieben ihren Filmmarathon, in einer guten Woche, am 21. Februar, berät sich die Jury letztmalig, um ihren Topfilm zu küren. Der wird am 22.2. verkündet und am 23.2. um 19 Uhr im Arsenal-Kino nochmals gezeigt. Tickets? Auf der Berlinale-Webseite.
Hier stellen wir Ihnen unsere filmbegeisterte Leserjury vor. Die Geschmäcker der Juror:innen sind ganz schön verschieden – beste Voraussetzungen für lebhafte Diskussionen über die Filme.
1 Amari Barash
„Das schönste Berlinale-Erlebnis wird die Jury-Woche gewesen sein“

© Tagesspiegel
Während „The Outrun“ musste Barash im Kino „gleichzeitig lachen und weinen“, was für sie eins der schönsten Gefühle ist. Nora Fingscheidts Drama, das letztes Jahr auf der Berlinale Premiere feierte, erzählt von einer Trinkerin. „Wir spüren selbst die Heilsamkeit und befreiende Wirkung eines alkoholfreien Rausches“, schreibt Barash in ihrer Jury-Bewerbung darüber, wie „The Outrun“ mit Saoirse Ronan sie berührt hat.
Die Musikerin verpackte ihre Bewerbung in ein filmisches Storyboard, in dem sie ihren Weg zur Leserjurorin vorzeichnet. Die 48-Jährige arbeitet als Oboistin und Übersetzerin. Oboe studierte sie unter anderem in Yale.
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Neben dem Film interessiert sie sich für Literatur, gerade hat sie ihr erstes Kinderbuch illustriert. Ihr schönstes Berlinale-Erlebnis, da ist sich Barash sicher „wird diese Woche mit den anderen Jurorinnen und Juroren gewesen sein“. Treffen würde sie am liebsten Regisseurin Sally Potter und die einfach erstmal fragen, was sie gern trinken möchte.
2 Julian Gabrysch
„Mein Leben ist von einem Dazwischen geprägt“

© Tagesspiegel
Julian Gabryschs Lieblingsfilm aus der letzten Zeit ist „A real pain“. Er hat selbst polnische Wurzeln und konnte sich gut in die Spurensuche der polnischstämmigen Amerikaner in Polen einfühlen. Gleichzeitig schaffe es der Film im Kontext des Holocausts, Traumata auch mit Humor zu begegnen, etwa wenn die Reisegruppe unbeholfen vor einem Mahnmal Selfies macht.
Sein eigenes Leben sieht der 32-jährige Charité-Arzt von einem Dazwischen geprägt. Gabrysch wuchs in Franken auf und war dort immer „der Pole“, und in Polen war er der Deutsche. In seinem künstlerischen Freundeskreis gilt der queere Arzt außerdem als der mit der sicheren Karriere.
Kino ist für Gabrysch daher eine Art Heimat, Filme, sagt er, verbinden oft scheinbar unvereinbare Perspektiven miteinander. Das habe etwas Heilsames. Am Filmset des eigenen Lebens wäre Gabrysch gerne Kabelträger. Man muss schließlich nicht immer die Hauptrolle spielen.
3 Katja Horstmann
„Wenn es zu splatterig wird, kann ich das nicht ernst nehmen“

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„Wenn ich Tickets bekomme, schaue ich mir oft fünf Filme an einem Tag an“, sagt Katja Horstmann über ihre bisherigen Berlinale-Besuche. Aber wenn es zu splatterig wird, schaut Horstmann im Kino auch mal weg. Sie könne das „nicht ernst nehmen“, besser sei es, wenn Filme auf Urängste zielen und sich der Horror in den Köpfen der Zuschauer abspielt, statt explizit zu sein. Auf dem Filmset ihres Lebens sieht sie sich denn auch am ehesten als Bühnenbildnerin.
Neben Filmen begeistern die 46-Jährige andere Länder und Kulturen. Als ausgebildete Touristikerin ist Horstmann viel auf Kreuzfahrtschiffen gereist und holt sich die Welt heute über Postcrossing nach Hause. Dabei schreibt man Fremden Postkarten irgendwo auf der Welt und erhält auch Antworten aus aller Welt.
Konkret sind das wöchentlich bis zu 30 Postkarten in Horstmanns Briefkasten. Auf der Berlinale würde sie gerne die Schauspielerin und Regisseurin Karoline Herfurth treffen, von der gerade „Wunderschöne“ im Kino läuft. Und sie fragen, woher sie sich die Ideen für ihre Filme holt.
4 Akito Ruhl
Der Traum von eigenen Kurzfilmen

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Akito Ruhl arbeitet als Kamera- und Lichtassistent bei Serien- und Filmproduktionen. Der 21-Jährige lachte im Kino zuletzt über „Konklave“, wo sich geistliche Würdenträger gelegentlich eher wie Jugendliche benehmen.
2025 ist Ruhls dritte Berlinale. Im letzten Jahr verplante er seine Festivaltage komplett mit Pendeln zwischen Kinos, Schlafen und Essen. Das wird dieses Jahr als Juror mit 24 Filmen in acht Tagen nicht wirklich anders. Neben seiner Arbeit am Filmset dreht Ruhl auch eigene Kurzfilme, meist als Kameramann.
Seine Begeisterung für Film entfachte ursprünglich das Actionkino aus Hongkong, aber das sei lange her. Ruhl fotografiert auch analog, entwickelt und scannt den Film anschließend selbst. Auf der Berlinale würde Ruhl gerne den Regisseur Bong Joon-ho treffen, der mit „Mickey 17“ seinen ersten Film nach dem Oscar-Gewinner „Parasites“ zeigt.
5 Maximilian Simbolon
„Ich gehe gerne in indonesische Filme.“

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„Filme aus aller Welt zeigen Realität und Traum/ein Kaleidoskop der Träume im dunklen Kinoraum“, schreibt der 26-jährige Maximilian Simbolon in seinem Bewerbungs-Gedicht. Wenn das kein Versprechen ist! Der ausgebildete Tourismuskaufmann studiert heute Medienwissenschaft in Potsdam, auch um sich aus dieser Perspektive mit Film zu beschäftigen.
Privat schreibt er querbeet Filmrezensionen, die er auf seinem Instagram-Account veröffentlicht. Seinen familiären Wurzeln nähert sich Simbolon, indem er hierzulande unbekannte indonesische Filme schaut und schon seit einigen Jahren den indonesischen Kampfsport Pencak Silat praktiziert. Auf der letzten Berlinale war es der Film „Alle die Du bist“, der ihn zu Tränen rührte. Simbolon lebt wie dessen Protagonist:innen in einer längeren Beziehung und konnte sich gut in die Tragik einer Liebe einfühlen, die allmählich abhanden kommt.
Seine Rolle im Filmset des eigenen Lebens? Nebendarsteller, meint Simbolon, denn beruflich ist die Richtung noch unklar. Auf der Berlinale würde er am liebsten Wim Wenders treffen, um mit ihm über dessen Faszination für Japan und seine Mode zu fachsimpeln.
6 Theresa Wiesweg
„Film studieren hilft nicht, Filme zu verstehen“

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„Mit der Berlinale verbinde ich auch ein eher traumatisches Erlebnis“: 2012 sah die heute 22-Jährige in der Generation-Reihe „Kauwboy“ über eine dysfunktionale Familie, der in ihren Augen eher nicht als Kinderfilm taugte. Endgültig verschreckt hat sie das Erlebnis aber nicht, denn seitdem war Theresa Wiesweg jedes Jahr auf der Berlinale.
Dieses Jahr träfe sie am liebsten Tilda Swinton, die mit dem Goldenen Ehrenbären für ihr Lebenswerk ausgezeichnet wird. Ihr Leben, ein Film? Dann wäre sie wohl die Setrunnerin, die versuchen würde, es „allen und sich selbst“ recht zu machen. Ihr Berliner Lieblingskino ist das Cinema Paris, ein altes Theater. Die Bühne ist ohnehin Wieswegs andere große Leidenschaft.
Im vergangenen Sommer hat sie ihr Studium der Filmwissenschaften und Englischen Literatur in Dublin abgeschlossen. Trotzdem bemerkt sie kritisch, dass das Studium nicht unbedingt dabei helfe, Film auch zu verstehen.
7 Manuela Ziegler
„Wäre mein Leben ein Filmset, wäre ich die Produzentin“

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Die Wirtschaftsingenieurin Manuela Ziegler arbeitet heute im Bereich Produktion bei der Deutschen Welle und betreibt eine Agentur für möbliertes Wohnen auf Zeit. Kein Wunder, dass sie sich als Produzentin sieht, wäre ihr Leben ein Filmset. Dem Film fühlt sie sich verbunden, seit sie nach der Wende regelmäßig in einer Videothek in ihrer Heimatstadt Cottbus saß, um für zwei Mark mit Kopfhörern am Kabel Filme auf einem Röhrenfernseher anzusehen.
Von da an zieht sich die Filmliebe durch die Biografie der heute 50-Jährigen. Während des Studiums arbeitete sie in einer Videothek und bei der UCI-Kinowelt, hier wie da konnte sie etliche Filme schauen. Seit über zehn Jahren ist sie Mitglied eines privaten Filmclubs, in dem intensiv diskutiert wird.
Ziegler wohnt seit mehr als 20 Jahren in Berlin. Sie denkt gerne an einen Berlinale-Besuch 2020 zurück, bei dem sie nach vier Stunden abwechselnden Wartens mit einer Freundin doch noch Tickets für Christian Petzolds „Undine“ ergatterte. Auf dem Festival würde sie dieses Jahr am liebsten Lars Eidinger auf ein Glas treffen, der für sie ein „durchaus streitbares Unikum“ ist. Einer ihrer Lieblingsfilme: „I Am Love“ von Luca Guadagnino, an dem sie besonders das Atmosphärische schätzt.