Regierender Bürger
Die Emissäre der alten Berliner Koalition, die auch die neue werden soll, halten dicht. Wo schon über die drängendsten Themen wie Wohnungsbau nichts zu vernehmen ist, herrscht zur Kultur erst recht Stillschweigen. Kann das eigentlich sein, dass in den Tagen und Wochen, die für die kommenden Jahre die entscheidenden sind, die Bürger der Stadt zu bloßem Warten verurteilt sind?
Einer, der sich womöglich zu Wort melden wird, wenn er diese Frage gelesen hat, ist Bernd Schultz. Der Berliner Jargon hat ihn vor Jahren schon zum „Regierenden Bürger“ ernannt. Der flapsige Titel meint zweierlei: zum einen, dass Schultz, der Gründer und langjährige Chef des Auktionshauses „Grisebach“, ein Bürger ist im Sinne Theodor Mommsens, zum anderen, dass dieser nicht zögert, Sätze hervorzustoßen, die nicht anders denn als Handlungsanweisung zu verstehen sind. Schultz bringt die Kultur- und Stadtpolitik auf Trab, aber – und das unterscheidet ihn fundamental von den vielen, die stets nur fordern – er beglaubigt jedes seiner Anliegen durch eigene Leistung, eigenes Geld und Handeln.
So hat er das Projekt eines Exilmuseums angestoßen, das hinter der Restruine des Anhalter Bahnhofs entstehen soll. Noch ehe irgendwer aus der Berliner Politik sich die Sache zu eigen machen konnte, gab Schultz seine mit Herzblut aufgebaute Sammlung bedeutender Künstlerzeichnungen im eigenen Haus zur Auktion, um die so erlösten sechseinhalb Millionen Euro zum Grundstock des Museums zu machen. Noch bei jeder Idee, die ihm kommt, darf man vermuten, sie sei in eben diesem Moment bereits auf dem Weg der Realisierung.
Sein Unruhegeist hängt am Exilmuseum, das am Anhalter Bahnhof entstehen soll
So war es bei der Kunstmesse „Orangerie“, die der spätberufene, dann aber um so energischer zum Galeristen und Händler gewordene Schultz 1982 initiierte, um dem vor sich hin dümpelnden West-Berlin einen Zipfel jener Bedeutung zurückzugeben, die die Gesamtstadt vor dem Nazi-Regime besessen hatte. Damals war sie die Weltmetropole des Kunsthandels. Ab 1986 setzte Schultz mit dem Auktionshaus „Villa Grisebach“ seinen Ehrgeiz daran, etwas davon auf Dauer zurückzuholen. Dass der Name dem schönen Stadthaus entlehnt ist, das selbst zunächst gerettet werden musste, um nicht zugunsten des Autoverkehrs abgerissen zu werden, zeigt beispielhaft, dass es Schultz immer um das Ganze der Stadt geht.
1941 in eine bremische Kaufmannsfamilie geboren, verweigerte er sich dem zunächst eingeschlagenen Berufsweg des Kaufmanns, studierte Kunstgeschichte und wurde im Eiltempo Teilhaber der von ihm nach vorn gebrachten West-Berliner Galerie Pels-Leusden. Exzellenter Menschenkenner und -fänger, der er ist, begeisterte er die Deutsche Bank zur Rettung des nahezu letzten städtischen Villenensembles in Charlottenburg (die namensgebende Villa erwarb er später zu Eigentum). Und er wirkte – beflügelt vom Auftritt Richard von Weizsäckers als Regierendem Bürgermeister der Halbstadt – an der Rettung von Watteaus „Kythera“-Gemälde in Schloss Charlottenburg mit. Diese Last-minute-Aktion signalisierte ihm, zu was bürgerschaftliches Tun imstande ist, wenn es vom eigenen Auftritt getrieben wird.
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Den Beruf als Kaufmann, den Schultz anfangs nicht ergreifen wollte, hat er als Leiter des weltweit beachteten Auktionshauses mit dem größten denkbaren Erfolg bestanden. Sein Unruhegeist hängt am Exilmuseum, für das er aus dem Stand eine leistungsfähige Struktur geschaffen und gleichgesinnte Mitstreiter gewonnen hat, darunter die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller. Die derzeit tagenden Koalitionäre täten gut daran, das Museumsvorhaben auf die politische Agenda zu setzen, ehe es von Bernd Schultz mit all seiner Autorität dorthin forciert wird. Am heutigen Sonntag feiert dieser Stadtbürger, wenn er denn Zeit findet, seinen 80. Geburtstag.