Bedroht der Online-Handel die Vielfalt?
Die Comic-Branche konnte im Corona-Jahr 2020 einen Bruttoumsatz von immerhin 185 Millionen Euro verzeichnen. Das ist ein Wert, der zwar deutlich unter jenem von vor fünf Jahren liegt, als noch mehr als 250 Millionen Euro umgesetzt wurden.
Aber es ist wieder ein klarer Aufwärtstrend erkennbar, den aber allein das Buchhandelsgeschäft befeuert, das inzwischen für rund die Hälfte des Gesamtumsatzes mit Comics steht – eine glatte Verdoppelung des Anteils verglichen mit dem Wert von 2015.
Kiosk-Comics auf dem Rückzug
Damals verlor das Presse-Geschäft mit Comics endgültig seine dominierende Rolle. Ehemalige Kiosk-Flaggschiffe wie „Micky Maus“ oder „Simpsons Comics“ verloren erst den Großteil ihrer Verkaufsauflage, um schließlich ihren Erscheinungsrhythmus radikal runterzufahren oder sogar ganz vom Markt zu verschwinden.
Während der Comic-Fachhandel seit Jahren stagniert, sprang dafür mit bemerkenswertem Erfolg der Buchhandel in die Bresche, in den auch im Pressegeschäft stark engagierte Verlage wie Egmont oder Panini immer mehr ihre Aktivitäten verlagerten. Und das gerade mit Publikationen, die dorthin zunächst überhaupt nicht geliefert wurden wie etwa das „Lustige Taschenbuch“ oder die Superhelden-Comics von DC und Marvel.
Immer mehr Mangas
Allerdings entwickelte sich das Buchhandelsgeschäft sehr unterschiedlich in den verschiedenen Gattungen. Während Comics und Graphic Novels im letzten Jahr stagnierten – ihnen fehlte 2020 vor allem ein neuer „Asterix“ –, konnten die Mangas um gleich 17 Prozent zulegen. Hier verteilt sich der Umsatz allerdings auch auf immer mehr Novitäten.
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Kamen 2015 noch weniger als 800 neue Manga-Bände heraus, so waren es im vergangenen Jahr schon 1532 – also weit mehr als 100 pro Monat. Und da weiterhin neue Mitspieler in den Markt drängen – Anfang des Jahres startete etwa das neue Carlsen-Imprint Hayabusa, und auch der Verlag Dani Books legt noch dieses Jahr ein Manga-Programm auf –, wird es hier wohl auf absehbare Zeit keine Trendumkehr geben.
Damit nimmt der Manga eine klare Sonderrolle innerhalb der deutschen Comic-Branche ein, denn alle anderen Gattungen wie etwa die Alben, Graphic Novels oder Superhelden-Titel verzeichneten für die letzten Jahre allenfalls moderate Anstiege im Ausstoß.
Bunte Themen-Vielfalt
Dabei gelingt es den „westlichen“ Comics aber durchaus, ihre Stellung zu behaupten, wie gerade ein Blick auf die großen Comic-Themen zeigt, die jeweils mindestens eine Million Euro in 2020 umsetzen konnten (siehe Liste unten). Auf den vorderen Plätzen dominieren wenig überraschend Manga-Themen wie „Naruto“, „One Piece“ oder „Tokyo Ghoul“ mit ihren kumulierten Einzelband-Umsätzen.
Aber auf den Folgeplätzen zeigen sich dann sogar ausgewiesene Graphic-Novel-Themen wie etwa der Sachcomic „Sapiens“ oder die Feminismus-Titel der Schwedin Liv Strömquist. Ebenfalls beachtlich, wie sich deutsche Eigenproduktionen wie die „Arazhul-Comic-Adventure“-Bände aus dem Youtuber-Umfeld und „Die drei ???“-Comics im direkten Umfeld der internationalen Erfolgsstoffe „Tim und Struppi“, „Batman“ und „Spirou“ schlagen.
Online-Versandhandel als Umsatztreiber
Schaut man sich die Umsätze allerdings etwas genauer an, fällt schnell auf, dass der Buchhandel immer stärker in zwei sich höchst unterschiedlich entwickelnde Teile zerfällt: Auf der einen Seite der klassische stationäre Buchhandel und auf der anderen der Online-Handel, der schon vor Corona immer mehr an Bedeutung zunahm – eine Entwicklung, die die Pandemie mit ihren Auswirkungen jetzt noch einmal sprunghaft beschleunigt hat.
Mit ca. 40 Prozent Umsatzanteil am Buchhandelsgeschäft mit Comics liegen Amazon & Co. jetzt fast schon gleichauf mit den Ladengeschäften.
Vor allem aber kann sich der Online-Versandhandel seit einigen Jahren praktisch alle Zuwächse sichern. Seine Dominanz scheint somit unaufhaltsam zuzunehmen. Und damit dürfte die Sichtbarkeit von Comics in der Öffentlichkeit des stationären Handels, die über viele Jahre hart erkämpft werden musste, wieder abnehmen.
Eine womöglich sehr problematische Entwicklung für den Comic, der gerade dort sein ganzes Potential als grafisch-literarische Gattung in Kombination mit haptisch-aufwendiger Ausstattung auszuspielen weiß – insbesondere bei neuen, noch unbekannten Stoffen.
Damit steht womöglich die gerade erreichte große inhaltliche Bandbreite der Comics auf dem deutschsprachigen Buchmarkt schon wieder auf dem Spiel. Zumindest spricht dafür die immer stärkere Konzentration großer Umsatzanteile auf wenige, sehr starke Comic-Bestseller – und das gerade auch im Online-Handel.
[Der ausführliche, mit mehreren Grafiken und Tabellen ergänzte Marktreport unseres Autors Martin Jurgeit erschien im „Buchreport Spezial: Comic & Manga“, dessen Beiträge hier zu finden sind.]
Die größten Comic-Marken 2020, nach Umsatz im Buchhandel (in Klammern Veränderung zu 2019):
01 (+1) Naruto (Manga)
02 (-1) Asterix (Comic)
03 (+3) One Piece (Manga)
04 (-1) Tokyo Ghoul (Manga)
05 (=) My Hero Academia (Manga)
06 (-2) Lustiges Taschenbuch (Comic)
07 (=) Attack on Titan (Manga)
08 (+4) Liv-Strömquist-Titel (Graphic Novel)
09 (neu) Sapiens (Graphic Novel)
10 (-2) Fairy Tail (Manga)
11 (-2) Tim und Struppi (Comic)
12 (+10) Arazhul-Comic-Adventure (Comic)
13 (-2) Batman (Comic)
14 (+7) “Die drei ???”-Comics (Comic)
15 (-1) Spirou (Comic)