Der Sieg im Traber-Derby geht nach Berlin
Es gab keine logische Erklärung dafür. Berlin besitzt die schnellste und berühmteste Trabrennbahn Deutschlands. Die Bedingungen auf der Mariendorfer Piste sind ideal und die fahrerische Qualität stimmt, denn mehrere in der Hauptstadt lebende Sulky-Profis rangieren in der nationalen Top Ten ganz weit vorne. Doch ausgerechnet die allerwichtigste Prüfung der Saison – das Derby – konnte offenbar keiner der Lokalmatadoren gewinnen. Es grenzte beinahe schon an einen Fluch.
Ganze 34 Jahre war es her, dass ein Berliner das schon 1895 erstmals ausgetragene Derby gewann. 1988 triumphierte der unvergessene Gottlieb Jauß unter dem Jubel des Publikums. Der 16-fache Mariendorfer Champion verstarb 1999 bei einem Autounfall. Doch seit dem legendären Erfolg seines Hengstes „Tornado Hanover“ passierte nichts mehr. Stattdessen räumten vor allem die Holländer ganz dick ab. Zwischen 2013 und 2021 ging das Derby in ununterbrochener Reihenfolge an Oranje-Fahrer.
[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Die Ausgangslage war also mächtig entmutigend, als das mit 352.000 Euro dotierte Rennen am Sonntagabend in Mariendorf vor 9000 Zuschauern wieder zur Austragung kam. Rein rechnerisch bestand ohnehin nur eine geringe Chance, dass die Durstrecke ein Ende finden würde. Denn unter den zwölf Fahrern, die mit ihren Pferden auf der 1.900-Meter-Strecke antraten, befanden sich nur zwei Berliner. Und denen wurden eher nur Außenseiterchancen zugetraut. Stattdessen schien der Niederländer Robin Bakker, der das Derby zuvor schon sechs Mal gewonnen hatte, mit seinem Hengst Namens Usain Lobell völlig unschlagbar zu sein.
Doch was dann passierte, glich einem sportlichen Donnerschlag. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Denn es war nicht der Ultrafavorit, der den Ton angab. Sondern der Hengst Days of Thunder – gefahren von dem 44-jährigen Berliner Thorsten Tietz. Der Sulkyfahrer führte sein Pferd eine Runde vor dem Ziel an die Spitze. Ähnliche Taktiken hatten die Zuschauer in der Vergangenheit zwar schon häufiger von den Mariendorfer Fahrern erlebt und die Sorge, dass die Rechnung am Ende erneut nicht aufgehen würde, war beim leidgewohnten Publikum groß. Aber diesmal kam alles anders.
Denn Days of Thunder gab zu keinem Zeitpunkt nach und bereits Mitte der Zielgeraden bahnte sich der Heimsieg unter frenetischem Jubel an. Tietz hatte den über Jahrzehnte währenden Fluch gebrochen – obwohl auch er gewarnt war. Im Derby war er zuvor nämlich schon zwei Mal tragisch gescheitert. 2015 ging sein Ultrafavorit Cash Hanover urplötzlich Galopp und 2012 stürmte sein Hengst Chapeau sogar als Erster über die Ziellinie, wurde aber anschließend disqualifiziert. Doch diesmal blieb das Fiasko aus – Days of Thunder triumphierte mit zwei Längen Vorsprung. Und während dem Pferd der Lorbeerkranz umgehängt wurde und im Stallteam viele Freudentränen flossen, blieb der Berliner seelenruhig: „Ich habe ja eigentlich nur meinen Job recht gut gemacht!“, sagte Tietz beim Siegerinterview mit einem Lächeln.