Wie sähe die Welt ohne uns Menschen aus?
„An dem Tag, an dem die Menschheit verschwindet, beginnt die Natur augenblicklich mit dem Hausputz“. Das hat 2007 der US-amerikanische Wissenschaftsjournalist Alan Weisman geschrieben, in seinem kühnen Buch „Die Welt ohne uns“. Er stellt darin ein so simples wie erhellendes Gedankenexperiment an: Was, wenn sich der Planet komplett von uns erholen könnte? Wie lange würde es dauern, bis noch die letzten menschlichen Hinterlassenschaften beseitigt wären, von Bronzeskulpturen bis Plastikmüll? Was würde mit den Meeren geschehen, den Äckern, dem Kölner Dom? Außer Frage steht, wie Weisman aus einer Vielzahl von Gesprächen mit Klimaforscher:innen, Ingenieur:innen oder Biolog:innen mitgenommen hat: Es wäre eine blühende, reich bevölkerte Erde.
„Die Welt ohne uns“ lautet nun auch der Untertitel des diesjährigen Festivals „Theater der Dinge“ an der Schaubude, dieser verlässlich inspirierenden, internationalen Zusammenkunft von Arbeiten des Figuren- und Objekttheaters. Klar, das apokalyptisch anmutende Thema besitzt Aktualitätswert. Die Pandemie hat die Frage nach einem möglichen Menschheitsende mit neuer Dringlichkeit aufs Tapet gebracht. Schon älter ist hingegen die Erkenntnis, dass mit dem Anthropozän, dem Zeitalter der Einflussnahme unserer Spezies auf die Erde, Verheerungen einhergehen.
[Bis Sa 13.11., schaubude.berlin]
Mit denen beschäftigt sich auch die Forscherin Anna Lowenhaupt Tsing, Autorin eines weiteren faszinierenden Buches, das dem Festival „Theater der Dinge“ den gedanklichen Boden bereitet hat: „Der Pilz am Ende der Welt“. Sie spürt darin dem Matsutake nach, einem Pilz, der bevorzugt auf verseuchtem oder ruiniertem Boden wächst und sich nicht kultivieren lässt. Was Tsing zu einer tief reichenden Betrachtung über „das Leben in den Ruinen des Kapitalismus“ ausweitet.
Die in Kalifornien lehrende Anthropologin hält für das Festivalpublikum einen Online-Vortrag („Die wilde Welt – mit und ohne uns“), der ausgehend von Pandemie-Beobachtungen wie Löwen auf Golfplätzen oder Delphine, die sich die südafrikanische See zurückerobern, den Wirkungsgeflechten des menschlichen Naturraubbaus nachspürt. Sie beschreibt darin zum Beispiel, wie Ratten und Quallen zu Profiteuren unserer kolonialen Attitüde gegenüber der Umwelt werden. Tsing betreibt auch den digitalen „Feral Atlas“, ein faszinierendes Web-Projekt, das rhizomartig, mit Graphiken und Essays, die Clashs zwischen Natur und Infrastruktur auffächert.
Ein Hase mit Jägerhut
Dabei leben wir erst so kurz auf dem Planeten. Der ist immerhin 4,5 Milliarden Jahre alt – worauf die Arbeit „Five Books“ der Künstler:innen Vendula Tomšu und Ian Mikyska Bezug nimmt. Die setzt unter anderem die verschiedenen Erdzeitalter in Beziehung zu der Zeit, die beim Umblättern der Seite eines Buches vergeht. Oder nimmt die Zuschauenden mit auf eine Reise durchs Universum. Ein weiteres, ebenfalls kunstvoll handgefertigtes Buch bietet eine maßstabsgenaue Nachbildung unseres Sonnensystems. Auf kleine Bilder von Venus und Mars folgen viele schwarze Seiten bis zum Jupiter. Und noch viel mehr Schwärze, bevor Pluto erreicht ist.
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Um die Frage nach der Beziehung zwischen Menschen, Tieren und natürlicher Welt geht es in einem Parcours aus drei Installationen, der wie „Five Books“ im Theaterhaus Mitte zu sehen ist. Der katalanische Künstler Xavier Bobés hat sich von Shakespeares „Sonett 66“ inspirieren lassen („Tir’d with all these, for restful death I cry“) – zu einem Objekt, das mit Baumstümpfen und abgetrennten Gliedmaßen von Entwurzelung und Zerrissenheit erzählt. In „Earthbounds“ von Veravoegelin bekommt man einen Sensorgürtel umgeschnallt – und nimmt mittels der eigenen Atemfrequenz Einfluss auf Sound und Projektionen im Raum. Und in „Pawaaraibu – filling the vaccum“ von Jana Kerima Stolzer und Lex Rütten wird man mit einem VR-Headset in die Perspektive einer Drohne versetzt. Die durchfliegt einen gescannten Gletscher, oder eine futuristisch anmutende Landschaft aus Flechten. Die wachsen nämlich dort, wo Gletscher abgeschmolzen sind.
In der Eröffnungsinszenierung wiederum – „Still Life“ vom Puppentheater Ljubljana – ist ein ausgestopfter Hase mit Jägerhut und Gewehr zu erleben. „Rabbit’s Revenge“ hat ein Präparator diese Arbeit getauft, die Rache des Hasen. Der junge slowenische Regisseur Tin Grabner hat sich in Online-Shops rund um die Welt auf die Suche nach solchen konservierten Wesen gemacht. Und stellt nun zur Disposition, ob der britische Präparator Ronald Howard Recht mit seiner Behauptung hat, „die Würde des Tieres“ werde beim Ausstopfen wiederhergestellt. Grabner und seine Kolleginnen errichten wechselnde Tischlandschaften, in denen sie neun Hasen nach Marionettenart bewegen – inklusive Lauscher aufstellen, graben, mümmeln, hoppeln. Eine eigentümliche Freude an der Imitation von Leben ruft das hervor. Und die Vermutung, dass auch die Hasen nicht schlechter dran wären in einer Welt ohne uns.