Wie ich meine Journalistenkarriere mit einem Stipendium erschlich
Ich klage mich an, je m’accuse. Liebe Steuerzahler:innen, ich habe ein Geständnis abzulegen. Mein Vergehen: Ich habe mir mit Hilfe eines Stipendiums eine journalistische Laufbahn erschlichen. Tausende von Euro flossen über Jahre in meine akademische Ausbildung, die Welt setzte große Stücke auf mich – und heute schleudere ich bloß doofe Stücke in die Welt zurück. Sorry. Ich bekenne mich schuldig im Sinne der Richtlinien für die Begabtenförderung.
Ich verstehe Ihre Wut, der Typ ist ja nicht einmal begabt. Als Kind machte ich mit meinem Cousin mal aus Spaß einen IQ-Test. Wir einigten uns auf 127 – knapp unter der Genieschwelle. Doch mein durchschnittliches Abitur an einer durchschnittlichen Schule im durchschnittlichen Nordhessen lässt eher auf eine durchschnittliche Begabung schließen. Von der unterdurchschnittlichen Studienmotivation ganz zu schweigen.
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Begabt war ich einzig darin, Gelder zu akquirieren. Die Eltern drosselten bereits nach einem Semester ihre Zuwendungen. Der Nebenjob im Jugendclub war viel zu aufreibend. Für BAföG nicht arm genug. Für Burschenschaften nicht rechts genug. Für Studienkredite nicht verzweifelt genug.
Was blieb? Stipendien! Oh, süße Verheißung von immensem, steuerfinanziertem Reichtum! Der Hans–Böckler-Stiftung waren Noten nicht so wichtig, dafür gewerkschaftliches und soziales Engagement. Genosse Soltau meldete sich also umgehend bei der „Arbeitsgemeinschaft für gewerkschaftliche Fragen“ an. Und man nahm mir die Nummer ab.
Menschen brechen die Förderung freiwillig ab
Über Jahre baute die Öffentlichkeit darauf, dass ich der nächste akademische Superstar werden würde, zumindest DGB-Vorsitzender – aber ich trieb heimlich meine journalistische Laufbahn voran. Schreiben statt streiken, Honorar- statt Tarifverhandlungen. Verdeckt finanzierte ich mit dem Büchergeld von 300 Euro Aufnahmegeräte, Laptops und Mitgliedschaften in Journalistenverbänden. Sogar Recherchereisen nach Ecuador und bezahlte (!) Redaktionspraktika sahnte ich ab.
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Menschen in meinem Umfeld brachen ihre Förderung ab. Weil sie Kinder bekamen, Krankheiten, neue Jobs – oder weil das Stipendium schlicht nicht zum Leben reichte. Ich strich viele Semester lang das Geld ein. Ohne Kind. Ohne Skrupel. Sogar ohne Bundestagsmandat. Der verständnisvolle Betreuer reizte jede Härtefallregelung für mich aus. Erst am Ende meines Studiums ließ ich die Bombe platzen: Ich beendete meine Promotion nicht. Schlimmer noch – ich fing sie erst gar nicht an. Ebenso wenig wie die Karriere in der Gewerkschaft. Volontariat statt Proletariat.
Gewähren Sie, werte Steuerzahler:innen, mir mildernde Umstände? Ich hatte das Recht zu schweigen. Alles was ich hier schrieb, kann gegen mich verwendet werden. Ich werde es bestimmt bereuen – wenn ich eines Tages Kanzlerkandidat bin.