Warum sich ein Trip nach Thessaloniki lohnt
Die Nikis-Straße ist gesperrt, Kameras werden in Position gebracht, kreuz und quer sind Autos geparkt. Hängt sicher mit dem Dok-Filmfestival zusammen, das hier gerade läuft. Später stellt sich heraus, dass in der Innenstadt von Thessaloniki, beim Weißen Turm, dem Wahrzeichen der zweitgrößten Stadt Griechenlands, ein Actionfilm mit Antonio Banderas gedreht wird: „The Enforcer“. Der Film spielt in Miami. Nordgriechenlands Metropole dient bloß als Kulisse und wird zum Fake-Florida, wegen der guten Infrastruktur und der günstigen Produktionskosten.
So ist es ja meist in Thessaloniki. Die Stadt mit dem schönsten Platz des Landes, der Platia Aristotelous, der sich wie ein Amphitheater zum Meer hinzieht und öffnet, steht im Schatten Athens. Das kann aber auch von Vorteil sein. Die Freundlichkeit, die Lässigkeit von Thessaloniki laden zum Verweilen ein, immer wieder. Restaurants, Cafés, Tavernen sind konstant gut und preiswert.
Es ist ein anderes Griechenland, ein balkanisch-römisch-byzantinisches, das sich sehr vom Süden mit seinen Tempeln und weißen Dörfern und den Reliquien der Antike unterscheidet. Die Urlauber auf den drei Fingern der nahegelegenen Chalkidiki kommen in diesem Jahr vor allem aus Rumänien und Bulgarien. Die Covid-Lage war im Juni und auch noch Anfang Juli kontrolliert entspannt.
Thessaloniki gilt nicht unbedingt als Stadt der Museen. Und doch: Zwei Tage reichen kaum aus, um die Sammlungen und Ausstellungen zu erkunden, beginnend am Hafen mit dem Museum für Fotografie und daneben dem Kinomuseum am Hafen. Auch das 2001 eingerichtete Jüdische Museum, untergebracht in einem ehemaligen Bankgebäude in der Altstadt, wirkt nicht groß. Umso härter packt den Besucher die Geschichte.
Die deutsche Besatzung schickte von hier 44 000 Juden in Zügen nach Auschwitz-Birkenau, fast die gesamte jüdische Bevölkerung von Thessaloniki wurde ermordet. Sie hatte über Jahrhunderte unter ottomanischer Herrschaft die Stadtkultur mitgestaltet. Der Name in den 1920er Jahren erbauten Modiano-Markthalle, an der kein Tourist vorbeikommt, ohne kurz einzukehren, erinnert an eine einst einflussreiche jüdische Familie.
Thessaloniki wird in der Antike zur Großstadt
Man kann nicht sagen, dass diese Stadt mit ihren Schätzen prunkt. Das Archäologische Museum ist in einem leicht brutalistischen Flachbau untergebracht, und ein Vergleich mit dem Nationalmuseum in Athen würde nichts bringen.
Hier stößt man aber auf das sogenannte Gold der Makedonen, unfassbar fein gewirkte Schmuckstücke für Arm und Kopf und Brust. Alexander der Große ist vertreten mit einer Büste, gänzlich unmilitärisch, mit lockiger Mähne, fast mädchenhaft. In römischer Zeit wurde Thessaloniki zu der Großstadt ausgebaut, die es immer geblieben ist – zentraler Ort an der Egnatia, der Straße von der Adriaküste nach Konstantinopel.
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Die Ägypter haben die Grabkunst in höchstem Maß kultiviert, sie waren das Vorbild. Wie sehr auch die Römer ihre Toten mit Beigaben versorgten, wie elaboriert ihre Sarkophage und Grabreliefs waren, lässt sich hier studieren, zum Beispiel den Grabstein eines Schauspielers, der als Frontalfigur und als Maske in Stein gehauen ist. Ars longa, vita brevis – der alte Spruch wurde selten besser illustriert.
Die große Museumstour drängt sich nicht auf
Das Leben ist kurz, die Kunst ist von Dauer. Dass dies nicht immer passt, begreift man bei einem Besuch im Museum für Moderne Kunst, wo die Sammlung Georgios Costakis in einem umgebauten Kloster im Norden außerhalb des Zentrums ihr Zuhause gefunden hat. Costakis (1913–1990) ist einer der bedeutendsten Kunstsammler des 20. Jahrhunderts. Er rettete die russische Avantgarde fast im Alleingang.
Seine Moskauer Wohnung baute er zum Künstlertreffpunkt und Privatmuseum aus. Malewitsch, Rodschenko, El Lissitzky, Ljubow Popowa, Tatlin sind reichlich vertreten in seiner Sammlung, die er bei der Ausreise aus der Sowjetunion mit der Tretjakow-Galerie zu teilen gezwungen war.
Auch danach blieb es die größte Sammlung dieser genialen Gruppierung außerhalb Russlands. Vor bald zwanzig Jahren gastierte die Sammlung Costakis im Berliner Martin-Gropius-Bau. In Thessaloniki hat jetzt eine Iwan Kljun gewidmete Ausstellung eröffnet. Von der Landschaftsmalerei zum Suprematismus und sowjetischen Konstruktivismus: Kljun durchlief, wie die meisten seiner Freunde und Kollegen, all die Phasen, die im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts so atemberaubend schnell aufeinander folgten.
Von der Naturbetrachtung zum abstrakten Gewitter: Besonders fallen ins Auge das kleine Malewitsch-Porträt von Kljun und die sphärische Konstruktion „Red Light“ (1923), ein glühend heißer Sonnenkern oder bereits die bolschewistische Implosion nach der Revolution? Kljun musste bald darauf gegenständlich malen; triste Bilder stalinistischer Kunstpolitik, die so vielen das Leben kostete.
Im entspannten Thessaloniki drängt sich die große Museumstour nicht auf. Aber wer es versäumt, ärgert sich sehr.