Zysiphus und andere Katastrophen

Man muss es als das Glück der Sommerausstellungen ansehen, dass sie wegen ihres Timings und ihrer luftigen Arrangements auch in Pandemiezeiten möglich sind. Schon im ersten Corona-Sommer schaffte es die Brandenburger Rohkunstbau-Ausstellung trotz aller Schwierigkeiten, zu eröffnen und war ein hoch willkommenes Kunst-Ausflugsziel nach Lockdown und Reiseverbot.

Im Jahr davor hatte der Rückzug der Böll-Stiftung, die das Event jahrelang getragen hatte, dazu geführt, dass die Schau ausfallen musste.

Initiator Arvid Boellert kennt das schon: das mühselige Akquirieren von Geldern, kurzfristige Absagen, späte Zusagen, die Schwierigkeit, Unterstützer an eine Veranstaltung zu binden, der man nicht mehr das Label „neu“ aufdrücken kann. Rohkunstbau hat sich als Zwischennutzer für verlassene Brandenburger Schlösser und Herrenhäuser etabliert und bewegt sich qua Definition zwischen Beständigkeit und Wandel.

Zwischennutzung in Brandenburger Schlössern

1994 gegründet, leistete Boellert Pionierarbeit. Die Großstädter mit internationaler Kunst nach Brandenburg zu locken, war eine kühne Idee. Die erste Ausgabe fand damals in einer ehemaligen DDR-Maschinenhalle in Groß Leuthen statt. Vier Jahre später zog man ins Wasserschloss am selben Ort.

Es folgten Stationen in und bei Potsdam, in Schloss Sacrow, der Villa Kellermann und auf Schloss Marquardt, danach auf Schloss Roskow im Havelland. Wer Rohkunstbau treu folgte, lernte mit den Jahren einige verlassene Schlösser in der Umgebung kennen. Und mit ihnen die Gemeinden, in denen sie stehen. Viele der Anwesen gehen irgendwann in Privatbesitz über, selten finden sie ihre Bestimmung dauerhaft als Kulturorte, oft suchen die Träger jahrelang nach Nutzern, die die alten Gemäuer renovieren und erhalten können.

In den Gemälden des Berliner Malers Armin Böhm wirken Mensch, Tier und Pflanzen gleichermaßen verloren.Foto: Jan Brockhaus / Freunde des Rohkunstbau e.V.

So ist es auch bei Schloss Lieberose südöstlich von Berlin. Rohkunstbau macht nun zum vierten Mal in dem Barockschloss im Landkreis Dahme-Spreewald Station. Das Schloss war früher der Sitz der Adelsfamilie von der Schulenburg.

Man merkt ihm die Nutzung als Wohnhaus noch an. Eine Eingangshalle, die mal prächtig war, aber nicht so pompös, dass sie ungemütlich wirkt. Eine Schlossküche im Gewölbe mit dickem Holzfeuerofen und Speisekammertrakt, Räume mit pummeligen Putten an der Decke und dicken Kachelöfen. Ein langer Flur, ein Schacht, in dem früher vielleicht das Essen ins obere Stockwerk befördert wurde. Und dazwischen die Kunst, die mal mehr mal weniger intensiv, mit dem historischen Ambiente in den Dialog tritt.

Eine Pflanze berichtet von der Zukunft

Das diesjährige Thema der Ausstellung ist die Unberechenbarkeit und die Widerstandskraft der Natur, die dazu imstande ist, uns eine Pandemie um die Ohren zu schleudern. Eine Seuche, die keiner will und die trotzdem niemand verhindern kann; auch wenn fast alles erforscht und verstanden scheint, was Tiere, Bakterien und Zellen so tun.

„Ich bin Natur – Von der Verletzlichkeit. Überleben in der Risikogesellschaft“ lautet der Titel der Schau. Es wird in etlichen Arbeiten deutlich, dass es nicht unbedingt der Mensch sein muss, der am Ende die wechselnden und von ihm selbst produzierten Herausforderungen – von der Atomkatastrophe über die Ölpest bis Corona – am besten übersteht.

Eine Ulme, bearbeitet vom Künstler Jochen Dehn: „ Bowling Ball Beach 2“.Foto: Jan Brockhaus / Freunde des Rohkunstbau e.V

Den Gedanken hat die Künstlerin Nadja Lichtig in eine Soundinstallation verpackt. In „Zysiphus, Zysiphus“ erzählt eine weibliche Computerstimme in einem stakkatohaften Monolog, wie sie sich in Zukunft entwickeln und ausbreiten wird, sie – eine Pflanze, Ziziphus jujuba lautet ihr botanischer Name. Der Gewächs sieht voraus, dass es sich nach einer Apokalypse und massenweisem Artensterben, als „Superspezie“ über die Welt ausbreiten wird. „Meine Banalität wird immer mein bester Verbündeter sein“, steht auf einer Postkarte, in der die Überlebensstrategien des Gewächses in Sprechblasen geschrieben sind.

Ein Operationstisch in rotem Licht

Rohkunstbau versammelt, wie in den vielen Jahren zuvor, im ländlichen Raum gar nicht selbstverständliche Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern, deren Werke sonst auf Biennalen, in Museen und prominenten Galerien ausgestellt sind: Nina Fischer und Maroan el Sani zeigen ihre Videoinstallation zu den Folgen der Reaktorkatastrophe in Fukushima groß in einem eigenen Raum. Der Berliner Künstler Michael Müller, der kürzlich in einem alten Tanzsaal in der Hasenheide ausstellte, hat in Lieberose einen rot angeleuchteten Operationstisch in einem Gewölbe platziert und provoziert mit dem beigefügten „Mutter“-Gedicht von Gottfried Benn schmerzvolle Gefühle. Großartig wirken die im Lockdown gemalten Partner- und Beziehungsgemälde von Armin Böhm in einem pittoresken Saal mit grüner Wandfarbe.

[Bis 3. 10., Sa und So 12-18 Uhr, Tickets: www.rohkunstbau.net]

Man braucht einen guten Draht in die Kunstszene, um so etwas auf die Beine zu stellen, noch dazu mit knappem Budget. Kuratorin Heike Fuhlbrügge betreut Rohkunstbau jetzt zum zweiten Mal, 2020 löste sie den langjährigen Kurator Mark Gisbourne ab.

Dafür wirkt die Schau zu routiniert. Ein weit gefasstes, existenzielles Thema, aktuelle Bezüge, Endzeitstimmung in einer durchaus apokalyptischen Kulisse. Irgendwie sitzt das zu fest, man würde das Improvisationsgeschick, das hier nötig ist, gerne mehr spüren. „Wir werden eine gute Ausstellung gemacht haben“, könnte eine Computerstimme im Stil von Nadja Lichtigs Installation über diese Schau orakeln.