„Studio Berlin“ hat wieder geöffnet
Es ist eine gute Nachricht und eine schlechte zugleich. Manche haben es im vergangenen Herbst nicht mehr in die Ausstellung „Studio Berlin“ geschafft, die die Boros Foundation in Berlins Techno-Club Berghain auf die Beine gestellt hat. Nach wenigen Wochen musste die Schau, die ja als kulturelles Ersatz- und Hilfsprogramm für den pandemiebedingt geschlossenen Club gedacht war, ebenfalls schließen.
Nun ist sie wieder auf, erst einmal bis Ende August, bis dahin geht es im Club also keinesfalls weiter. Nur im Garten des Berghain kann man seit diesem Wochenende wieder feiern.
Als „Studio Berlin“ am Donnerstagmittag wiedereröffnete, schwankte ein seelig grinsender Partysucher den Sandweg vor dem Berghain entlang, während sich an der Tür schon die erste Gruppe mit Kunstliebhabern sammelte, um von den Club-Mitarbeiter:innen durch die Ausstellung geführt zu werden.
Für viele ist es die einzige Möglichkeit, einmal zu sehen, wie es in Europas berüchtigtem Tanztempel aussieht. Denn unter Normalbedingungen darf hier nicht jeder rein. Man muss schon ausstrahlen, dass man bereit ist, ein bisschen ans Limit zu gehen, wenn man an den strengen Türstehern vorbeiwill. Nur gucken ist hier gar nicht erwünscht. Das geht nur jetzt, wo die Kunst die Hauptrolle spielt.
Eine Fliese als Porträt von Türsteher Sven Marquardt
„Wir stellen es uns wie eine Fata Morgana vor“, sagt Kuratorin Juliet Kothe. Die Kunstwerke tauchen in dem riesigen ehemaligen Heizkraftwerk auf und verschwinden wieder, sobald dort die Musik wieder angeht, der Schweiß wieder tropfen darf. Aber es werden nicht alle Bilder wieder abmontiert.
Der Club ist ja ohnehin schon mit Kunst bestückt, abstrakte Fotos von Wolfgang Tillmans hängen etwa in der Panoramabar. Bleiben soll nun auch ein neu hinzugefügtes Porträt von Türsteher-Legende Sven Marquardt. Erkennen wird den tätowierten Rauschebart auf dem Bild wahrscheinlich niemand. Der Künstler Simon Mullan hat mit einer Fliese gearbeitet, die weißen Fugen bilden ein geometrisches Muster. Das abstrakte Porträt ist direkt auf den rauen Beton geklebt. Für immer mit dem Haus verschmolzen.
Nicht wenige der beteiligten Künstler:innen sind oder waren auch Partygäste im Berghain, da fällt die Identifikation mit dem Ort nicht schwer. Zu sehen ist die von Berlins berühmtestem Kunstsammlerpaar Karen und Christian Boros zusammen mit Berghain-Mitgründer Norbert Thormann eingefädelte und vom Senat mitfinanzierte Schau nun in einer adaptierten Variante.
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Der Kunstbetrieb fährt nach dem Lockdown wieder hoch, manche der bisherigen Werke werden als Leihgaben anderswo gebraucht, so sind etwa einige Zeichnungen von Marc Brandenburg vor den Toiletten nicht mehr da. Auch steht die Halle am Berghain als Ausstellungsfläche nicht mehr zur Verfügung, weil sie in den nächsten Wochen an den dänischen Shootingstar Jakob Kudsk Steensen vergeben ist.
Als Ersatz wurden für „Studio Berlin“ Teile des ebenfalls im BerghainKomplex beheimateten Schwulenclubs Lab.oratory hinzugenommen. Die Dark Rooms bleiben allerdings privat. Alles will der Club dann doch nicht preisgeben.
In einem Fensterschacht fordert eine selbstgenähte Ameisenkönigin der Künstlerin Mary-Audrey Ramirez zum Blickkontakt auf. Andernorts liegen schwarze Glasobjekte von Monira Al Qadiri, jeweils in einer Lache aus weißem Wüstensand. Dahinter schweben Fledermausfotos von Raed Yassin, Quadiris Ehemann.
Die beiden Künstler, die zuvor in Beirut lebten, sind 2020 kurz vor dem ersten Lockdown nach Berlin ins Exil gezogen. Wie es ihnen in ihrer neuen Heimat, allein mit sich und ihrer neuen Katze erging, ist Teil einer Sound-Installation mit drei Roboterköpfen, die in den nächsten Tagen noch aufgebaut werden soll. Sie war ursprünglich für die Berliner Festspiele entstanden, konnte dort wegen des Lockdowns aber nie gezeigt werden.
Freunde laden Freunde ein
So ist die Schau im Berghain wieder mal ein Beispiel für die Berliner Selbstheilungskräfte: Freunde empfehlen Freunde, das kreative Potenzial wird scheinbar mit Leichtigkeit aktiviert. Und das Boros- Team eilte von Atelier zu Atelier, um zu sehen, was die Kunstproduktion in der Stadt gerade hergibt. Genau das soll man ja hier sehen.
[Führungen Mi und Do, 11:45 bis 20 Uhr, Open House Fr, Sa So 11:45 bis 20 Uhr. Tickets: www.studio.berlin]
Hinzugekommen sind vor allem neue und eigens für das Berghain entstandene Arbeiten. Es ist viel Sehenswertes dabei. Eine Silikonskulptur von Constantin Hartenstein ist kongenial in einem Duschraum aufgehängt, eine Sildeshow zur „Kunstgeschichte des Bückens“ von Andrea Büttner in einem Gewölbe installiert.
Ein Hingucker ist das Tanzvideo „Annexation Tango“ von Kandis Williams. Ein schwarzer Tänzer performt den Tango in seiner ursprünglichen Form, nämlich als Solotanz, der aus Afrika kommt. Und das alles vor einer Green-Screen-Kulisse, die mondäne Landsitze zeigt. Es sind Umerziehungsorte in der Umgebung von New York, in denen Anfang des 20. Jahrhunderts auch Künstlerinnen und Sänger per Gartenarbeit von ihren bürgerrechtlichen Gedanken abgebracht werden sollten. Unter anderem mussten hier die Sufragetten gärtnern, weil sie den mächtigen Männern mit ihren feministischen Forderungen Angst einflößten.