Tanzende Geigen
Die Geburtstagsausgabe der Madrider Kunstmesse ARCO hätte sich Messedirektorin Maribel López gewiss unbeschwerter gewünscht, als es zu Zeiten der fortdauernden Pandemie möglich ist. Immerhin nur wenige Veränderungen genügten, um die 40. ARCO covid-tauglich zu machen. Es gibt diesmal keinen gedruckten Katalog, für Kaufinteressenten zweifellos ein Manko. Am stärksten wird sich die Beschränkung der Publikumstage auf zwei auswirken; die früheren Rekordzahlen von bis zu 100.000 Besuchern bleiben außerhalb jeder Reichweite. Ansonsten gibt es selbstverständlich alle gängigen Hygienemaßnahmen. Zudem sind die Hauptwege in den beiden gewohnten Messehallen 7 und 9 breiter geworden, und die durchweg großzügig dimensionierten Stände halten zueinander Extraabstand.
Als logische Folge musste die Zahl der Aussteller gesenkt werden, von über 200 auf gut 130 Galerien. Verdichtung, nicht Ausdünnung ist das Motto; auch wenn der internationale Anteil denn doch zurückgegangen ist, mit Ausnahme von Portugal. Das allerdings verwundert nicht, unterhält die ARCO doch seit 2016 einen charmanten Ableger in Lissabons alter Hafengegend.
In der Kunst hat sich die Pandemie noch nicht niedergeschlagen. Mit Ausnahme eines Zwei-mal-drei-Meter-Gemäldes von Simeón Saiz Ruiz, das die Madrider Galerie F2 gut sichtbar an die Außenseite ihrer Koje gehängt hat (32.000 Euro, alle Preisangaben ohne Mwst.). In fotorealistischer Manier und basierend auf einem Zeitungsfoto vom Vorjahr zeigt es „Madrid am ersten Wochenende nach dem Lockdown“. Wie es der Zufall will, schwebt gerade jetzt eine Künstlerin vorbei, Monica Mura, die eine Art Reifrock-Untergestell in leuchtendem Gelb trägt und so den Hygiene-Mindestabstand von anderthalb Metern um sich herum greifbar macht.
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Zum „Projekte“-Förderprogramm hat Maribel López diesmal Zusatzkojen ausschließlich von Künstlerinnen bestimmt, 26 an der Zahl. Allerdings sind Künstlerinnen wie Dominique González-Foerster (bei Albarrán Bourdais, Madrid) oder Jessica Stockholder (bei Max Estrella, Madrid) längst feste Größen des Betriebs. Erstere zeigt einen klassischen wohnzimmergroßen Teppich mit irritierend eingewebten Poster-Motiven, Letztere eine 40 Meter lange Schlange aus bunten Stoffresten, die sie mit Studenten im Utrechter Museum geflochten hat (100.000 €). Auf Plastikschlauch aufgezogen, lässt sie sich wunderbar als Draperie zurechtbiegen.
Materialarbeiten außerhalb der klassischen Disziplinen Malerei und Skulptur stechen bei dieser, erneut top-aktuell ausgerichteten ARCO ohnehin heraus. Gerne mit elektrischem Licht, wie die titellose Arbeit des türkischen Duos „mentalKlinik“ (Yasemin Baydar und Birol Demir), die die Madrider Galerie Sabrina Amrani effektvoll an der Spitze ihrer Koje leuchten lässt (15.000 €). Ähnlich in Art und auch Preis (12.000 €) die „Conduits in Red, Yellow and Blue“ von Giandomenico Pellizzi bei Leyendecker (Santa Cruz de Tenerife). Altmeister Jaume Plensa hat eine in wechselnden Farben leuchtende Kunststoff-Sitzfigur geschaffen, die in der Galerie Senda seiner Vaterstadt Barcelona etwas beiläufig vor sich hin blinkt. Ein anderer Altmeister, Antoní Tapies, ist bei Elvira González (Madrid) mit dem großformatigen Materialbild „4 griega“ von 1996 zu sehen, das bereits zum Eröffnungstag einen zweifellos gutbetuchten Sammler fand. Das ist es dann aber schon beinahe mit den etablierten Namen; und nur Guillermo de Osma (Madrid) zeigt unbeirrt Klassische Moderne von Óscar Dominguez oder Joaquín Torres-García.
Den Preis für den besten „Opening“-Beitrag hat Jahmek Contemporary Art aus Angolas Hauptstadt Luanda bekommen. Die Galerie ist zum zweiten Mal bei der ARCO dabei. Ihre Künstlerin, die 27-jährige Helena Uambembe, arbeitet mit Schrift auf Sackleinen und zeigt in dem Video „Mud Cake“, wie sie mit Lehm umgeht. Die New-York-erfahrene Galeristin Mehak Vieira berichtet von einer wachsenden Kunstszene in Luanda: „Wir schaffen Sammler!“
Berliner Galerien sind traditionell gut vertreten, etwa Nordenhake oder Crone, auch Hua (Beijing/Berlin); Carlier Gebauer hat ohnehin eine Dependance in Madrid. Thomas Schulte, Mitglied der Messe-Zulassungsjury, glänzt mit Arbeiten von Rebecca Horn; für „Die drei Grazien im Tanz“ von 2020 – Geigen und Geigenbögen, die sich so grazil bewegen, wie der Titel besagt – ruft er angemessene 250.000 Euro auf.
Die Band Laibach ist mit Kunst dabei
Bisweilen stach die ARCO mit politischen Akzenten heraus. Die setzt diesmal die Galerie P74 aus Ljubljana, mit Konzeptarbeiten von Laibach – ganz genau, der Musikgruppe, die zunächst in bildender Kunst tätig war. Die wandfüllende Arbeit „Vervielfältigter Stahlarbeiter und Hirsch“ von 1982/2020 spielt mit Ikonen wie dem titelgebenden Arbeiter und dem berühmten Hirsch-Motiv des viktorianischen Tiermalers Edwin Landseer (65.000 €). Originale Ausstellungsposter der wilden achtziger Jahre, die mit dem deutschen Gruppennamen Laibach provozierten, stehen für bis zu 17.000 € bereit.
Jan Eugster, nach Belgrad übersiedelter Schweizer, hat Arbeiten von Vladimir Miladinovic zu einer Solo-Koje versammelt, der Nachrichtenüberschriften aus Zeitungen verfremdet (je Panel 900 €), aber auch eine ganze Zeitungsseite der „FAZ“ vom August 1992 penibel, allerdings in eigener Handschrift, reproduziert. Und Nuno Nunes-Ferreira hat zu Songtexten wie David Bowies „Space Oddity“ die passenden, damaligen Titelseiten von Zeitungen und Magazinen aus seinem offenbar gigantischen Archiv montiert, die die Popmusik mit Mondlandung oder Vietnamkrieg in ihren politisch-historischen Kontext setzen.
[Arco, Ifema Madrid, bis 11. Juli, www.ifema.es]
Und zumindest die Erinnerung an eine Großtat politischer Kunst liefert der 90-jährige Agustín Ibarrola mit seiner Paraphrase auf Picassos „Guernica“ in einem zehnteiligen Werk von zusammen zwei mal zehn Metern Größe. Ganz in Schwarz-Weiß vereint der unter dem Franco-Regime mehrfach inhaftierte Künstler des Baskenlandes Motive aus Picassos Protestbild mit geometrischen Formen. Seine Galerie José de la Mano hat ihm zudem eine eigene Zeitung mit dem zweisprachigen Titel „Guernica Gernikara“ spendiert – und erwartet, so eine Mitarbeiterin, „am Ende der Messe das Werk an eine Institution verkauft zu haben“. Es ist nicht weniger als ein künstlerisches Vermächtnis.
Beim Hintergrundgespräch gibt Messechefin Maribel Lopez Einblick ins harte Business: 30 Prozent Rabatt seien diesmal auf den normalen Quadratmeterpreis von 310 Euro gewährt worden. Allerdings sind die Kojen durchweg groß: „Ich wollte, dass die Galerien gut aussehen“, erklärt Lopez, die das Geschäft als Stellvertreterin des früheren Leiters Carlos Urruz von Grund auf beherrscht. Dass die ARCO neben dem immer stärker aufkommenden virtuellen Messegeschehen bestehen wird, daran lässt Lopez keinen Zweifel. Ihren Rang als besucherstärkste Kunstmesse muss die Madrider Veranstaltung erst wieder neu erringen. Aber mit ihrer diesmaligen Qualität beweist sie, dass weniger eben auch deutlich mehr sein kann.