Wenn Worte verteidigt werden müssen
Neulich glaubte ich, ich sei ein Opfer staatlicher Willkür. Ich fuhr mit dem Auto zum Cospudener See, stand wartend vor einer roten Ampel an einer engen Baustelle, nichts ging voran, und ich nahm das Mobiltelefon in die Hand, um einen Lieblingspodcast zu starten. Zwei Polizisten, auf Fahrrädern, tauchten links von mir auf, ich stand, sie fuhren, einer filmte mich. Der andere klopfte ans Fenster, schimpfte, ich sei abgelenkt durchs Telefonieren, was für ein fahrlässiges Verhalten.
Nein, sagte ich, ich stehe im Stau und telefoniere nicht, will bloß die Ezra Klein Show hören, ist das verboten? Ich werde Post bekommen, sagte der Polizist, seinen Namen verriet er nicht, dazu sei er nicht verpflichtet. So ein Verständnis von Pflichterfüllung ist in Deutschland nicht neu, sagte ich, wofür ich mich später schämte.
Seltsame Pflichterfüllung
Für den Gedanken, ein Opfer staatlicher Willkür zu sein, schämte ich mich auch. Der Brief kam, ich antwortete und nahm Stellung; vielleicht werde ich ein Bußgeld zahlen müssen, vielleicht nicht, es ist nicht wichtig, denn passieren wird mir nichts. Ich lebe in einem demokratischen Rechtsstaat und vergesse bloß manchmal, wie kostbar das ist.
Tsitsi Dangarembga ist staatlicher Willkür ausgesetzt. Vieles ist ihr schon passiert, vieles kann noch passieren. Als wir, der Stiftungsrat des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Tsitsi Dangarembga 2021 den Friedenspreis verliehen, spürte ich, wie stimmig das war: Sie schreibt wundervoll (bilderstark, mit großen Bögen und Gedanken), sie dreht ebensolche Filme, und sie kämpft für Frieden und Recht in Simbabwe.
Oft ist Tsitsi in Berlin, doch stets kehrt sie zurück in dieses Land, das ich korrupt, autoritär, dysfunktional und verloren finde, sie aber nicht. Sie hofft und schreibt und redet.
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„Simbabwe war schon immer ein gewalttätiger und repressiver Staat“, sagte Tsitsi Dangarembga am 24. Oktober 2021 in der Paulskirche, „der neue Nationalstaat, entstanden durch einen brutalen Freiheitskampf, in dem von beiden Seiten Gräueltaten verübt wurden, war ebenso gewalttätig. Die militaristische Rhetorik konzentrierte sich auf Konflikte, Feindschaft und Feindseligkeit, und das ist die Philosophie, die bis zum heutigen Tag die simbabwische Obrigkeit beherrscht.“
Nun steht sie dort vor Gericht, kann zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt werden. Der öffentliche Aufruf zu Gewalt, Bigotterie, Unfriede sowie Verstöße gegen die Covid-Regeln werden ihr vorgeworfen, obwohl sie eine Maske trug, anders als die Polizisten, die sie wegsperrten. Zwei Jahre lang hoffte Tsitsi, der Fall werde wegen Nichtigkeit (und Absurdität) eingestellt, doch dann übernahm ihn jener Antikorruptionsgerichtshof, der dem Präsidenten Emmerson Mnangagwa untersteht, und das ist gefährlich.
Worum geht es? Um nichts, eigentlich.
[Klaus Brinkbäumer ist Programmdirektor des MDR in Leipzig. Zuvor war er unter anderem Chefredakteur des „Spiegel“. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer]
Im Juli 2020 hatte Tsitsi Dangarembga in Harare für Reformen demonstriert; Videoaufnahmen zeigen sie und die Mitangeklagte Julie Barnes, sie stehen da, das ist alles, und eines ihrer Plakate fordert „ein besseres Simbabwe für alle“ sowie die Freilassung inhaftierter Journalisten. Drei Zeugen wurden gehört, redeten wirr, belegten nichts. Die Plakate im Prozess sind nicht die Plakate von damals, können eigentlich nur gefälscht sein.
Am heutigen Montag, 11 Uhr 15 (Ortszeit und deutscher Zeit), soll entschieden werden, ob das Verfahren eingestellt wird oder Richtung Urteil weitergeht. Die Friedenspreisträgerin hätte vor Monaten beschließen können, nicht mehr nach Simbabwe zu reisen, eine Friedenspreisträgerin ist an vielen Orten willkommen.
Tsitsi Dangarembga aber wird dort sein, in ihrer Heimat, als Angeklagte. Sie verdient es, dass wir hinsehen.