Dramatisch, rührend, komisch – Unsere Sportmomente des Jahres
Das Sportjahr 2021 hatte wieder jede Menge zu bieten: Skurriles, Lustiges, Dramatisches. Wir schauen daher noch einmal zurück auf zwölf außergewöhnliche Ereignisse – Monat für Monat. Von Biathletin Franziska Preuß, die es plötzlich sehr eilig hatte, über Schwimmer Kristof Milak, der mit der Qualität seiner Badehose haderte, bis zu Dartspieler William Borland, der im Alexandra Palace einen magischen Abend erlebte.
Das Rennen vor dem Rennen
Noch 90 Sekunden bis zum Massenstart der Biathletinnen in Hochfilzen im Januar. Da sollte alles passen. Doch Franziska Preuß bemerkt kurz vor knapp, dass sie sich den falschen Ski geschnappt hat, den mit der alten Bindung. Preuß – Maske im Gesicht, Gewehr auf dem Rücken – spurtet los, tauscht das Material, sprintet wieder zurück zum Start. Ihr bleiben 60 Sekunden. Sie ist rechtzeitig fertig, es kann losgehen. Bis zum Ende ist Preuß in der Spitzengruppe dabei. Dann fehlt die Kraft und sie wird Vierte.
Mit und ohne Publikum
Bei den Australian Open der Tennisprofis sieht es für Titelverteidiger Novak Djokovic am Abend des 12. Februar in seinem Drittrundenmatch gegen den US-Amerikaner Taylor Fritz nicht gut aus. Zwar hat er die ersten beiden Sätze gewonnen, doch dann lässt er den Physiotherapeuten kommen und sich im Bauchmuskelbereich massieren. Plötzlich geht nichts mehr, Fritz holt den dritten Satz und ist auch im vierten Durchgang auf Kurs.
Doch das Match nimmt eine weitere unerwartete Wendung. Weil in Melbourne ab Mitternacht ein fünftägiger Corona-Lockdown gilt, müssen die Zuschauer um 23.30 Uhr die Rod-Laver-Arena verlassen. Ihren unfreiwilligen Abgang kommentieren sie mit wütenden Unmutsäußerungen. Djokovic nutzt die Pause für weitere Behandlungen und die Einnahme von Schmerzmitteln. Als es weitergeht, wirkt er vor leeren Rängen wieder topfit. So gewinnt er am Ende nicht nur das Match, sondern später auch das Turnier. Und beim Finalsieg gegen Daniil Medwedew eine gute Woche später darf er sich sogar wieder vom Publikum feiern lassen.
In Erinnerung an ihre Freundin
Die Shorttrack-WM im niederländischen Dordrecht steht unter keinem guten Stern. Wegen der Pandemie sind alle Weltcups der Saison abgesagt worden, bei den Titelkämpfen im März fehlen die Topathleten aus Südkorea und China. So konzentriert sich bei den Frauen alles auf Suzanne Schulting.
Die 24-Jährige gewinnt im eigenen Land zunächst das Rennen über 1500 Meter, wenig später stehen die 500 Meter auf dem Programm. Nicht ihre Lieblingsstrecke, aber Schulting triumphiert trotzdem – und folgt damit ihrer Landsfrau Lara van Ruijven, bei der im Juni 2020 eine Autoimmunerkrankung diagnostiziert worden war und die nur einen Monat später im Alter von 27 Jahren verstarb. Schulting hatte sich seinerzeit geschworen: „Der Titel über 500 Meter bleibt in unserem Team.“ Als es vollbracht ist, bricht die Niederländerin in Tränen aus. Schulting räumt auch bei ihren drei folgenden Starts ab und ist damit erst die zweite Frau, die bei einer Weltmeisterschaft all ihre Rennen gewinnt.
Seitenwahl was anderes
Die Seitenwahl gehört meist nicht zu den aufregendsten Dingen rund um ein Fußballspiel. Aber Schiedsrichterin Marina Aufschnaiter lässt sich in der österreichischen Frauen-Bundesliga etwas Besonderes einfallen. Passend zum Termin, dem Ostersonntag, hat sie zwei hartgekochte, bemalte Eier dabei.
Eines bekommt Sonja Hickelsberger-Füller, Kapitänin vom USV Neulengbach, das andere geht an Jasmin Eder vom SKN St. Pölten. Für das, was folgt, wird in weiten Teilen Österreichs der Begriff „Eierpecken“ verwendet: Die Eier werden aneinandergeschlagen, danach wird geschaut, welches unversehrt geblieben ist. In diesem Falle das von Jasmin Eder, die für Tabellenführer St. Pölten nicht nur die ungewöhnliche Platzwahl, sondern mit ihrem Team auch das Spiel gewinnt –Endstand 3:2.
Langer Abschied
Die Feldhockeysaison beginnt im September 2019. Danach ist Schluss, sagt sich Svenja Schuermann vom Berliner Hockey-Club. Doch wegen der Pandemie wird die Saison unterbrochen. So will Schuermann – die 2001 ihr erstes Erstligaspiel für den BHC bestritt und dem Klub immer treu geblieben ist – nicht aufhören.
Die Spielzeiten gehen unter Berücksichtigung der bisherigen Ergebnisse ineinander über. Am 1. Mai 2021 scheidet der BHC durch das 0:1 im zweiten Viertelfinalspiel beim Club an der Alster aus. Damit ist für Svenja Schuermann im Alter von 37 Jahren Schluss, nach fünf deutschen Meistertiteln auf dem Feld und einem in der Halle.
Der beste Platz der Welt
Man stelle sich folgendes Szenario vor: Golfprofi aus Spanien, gerade erst Vater geworden, tritt bei den US Open in Torrey Pines an. Es ist der Platz, auf dem er einst sein erstes großes internationales Turnier gewonnen hat und seiner Frau einen Heiratsantrag machte. Er ist der Topfavorit, wenige Wochen zuvor war er das auch schon bei einem Vorbereitungsturnier. In Führung liegend durfte er dort aber wegen eines positiven Coronatests nicht weiterspielen.
Diesmal geht er als geteilter Sechster in die Finalrunde, am Ende gewinnt er unter den Augen von Frau, Sohn und den Eltern seinen ersten Major-Titel. In den USA ist Vatertag. Der Name des Profis, der dies alles erlebt, lautet Jon Rahm. Nach seinem Triumph sagt der 26-Jährige: „Ich weiß nicht warum, aber immer, wenn wir hier landen, sind wir einfach glücklich.“
Pack die Badehose ein!
Schwimmer Kristof Milak, 21 Jahre alt, ist bei Olympia Goldfavorit über 200 Meter Schmetterling. Aber er will mehr. Milak peilt im Tokyo Aquatics Centre einen neuen Weltrekord an. Der Ungar bleibt jedoch Ende Juli eine halbe Sekunde über seiner eigenen Bestmarke. Und hat dafür im Anschluss eine Erklärung: Wenige Minuten vor dem Start war seine Badehose eingerissen. „In diesem Moment wusste ich, dass der Weltrekord weg war“, sagt Milak später. Denn: „Ich habe meinen Fokus verloren.“ Olympiasieger ist Milak trotzdem ganz souverän geworden, mit Olympischen Rekord und fast zweieinhalb Sekunden Vorsprung.
Sitzstreik am Boxring
1. August, noch einmal Olympia, diesmal Boxen in der Kokugikan Arena. Im Superschwergewicht kämpfen der Franzose Mourad Aliev und Frazer Clarke aus Großbritannien um den Einzug ins Halbfinale, der Sieger hat die Bronzemedaille sicher. Die erste Runde wird für Aliev gewertet, kurz vor Ende der zweiten unterbricht der Ringrichter und disqualifiziert Aliev einen Tag nach dessen 26. Geburtstag. Grund ist ein angeblicher Kopfstoß.
Aliev verliert die Fassung, schlägt nach einer TV-Kamera. Kurz danach lässt er sich außerhalb des Rings nieder. Nach 30 Minuten geht er, kommt zurück und setzt den Sitzstreik weitere 15 Minuten fort. Zwischendurch ruft er: „Jeder weiß, dass ich gewonnen habe.“ Die Aktion sorgt für reichlich Aufsehen. Im Nachgang sei ihm von der Kampfleitung bestätigt worden, dass der Ringrichter einen Fehler gemacht habe, sagt Aliev. Doch das Urteil hat Bestand.
Lasche auf dem Balken
Für den Kugelstoßer Mathias Schulze läuft der Wettkampf bei den Paralympics hervorragend. Im zweiten Durchgang bedeuten seine 15,60 Meter bereits einen persönlichen Rekord – doch die Konkurrenz ist stark, für eine Medaille braucht der 38-Jährige, der ohne linken Unterarm auf die Welt kam, noch ein paar Zentimeter mehr. In seinen sechsten und letzten Versuch legt Schulze alles rein, die Kugel fliegt bis kurz vor die 16-Meter-Marke. Er weiß sofort, das reicht für Bronze, er dreht jubelnd ab und ballt die rechte Faust, schreit, eine Medaille, unglaublich.
Dann der Schock! „Ich freu’ mich wie ein Affe und dann seh’ ich die scheiß Rote Fahne“, sagt Schulze unmittelbar nach dem Wettkampf. Ein lockerer Klettverschluss an seinem Schuh hatte den Balken berührt, die Wettkampfrichter erklären den Versuch für ungültig. Schulze ist untröstlich und kämpft im Fernsehinterview mit den Tränen. „Ich bekomme so viel Unterstützung und dann kommt diese scheiß Lasche auf den Balken, weil ich zu blöd bin, sie abzukleben.“ Er wird – wie in Rio – Fünfter.
Vor verschlossenen Türen
Mitte Oktober sind in Nordrhein-Westfalen Herbstferien. Die Handballerinnen von Borussia Dortmund, aktuell Deutscher Meister, trainieren daher in einer Ausweichhalle. Morgens um kurz vor acht Uhr ist diese zu, es kommt auch niemand zum Aufschließen. Laut „Ruhrnachrichten“ muss der Verein seine Trainingseinheiten in den Ferien bei der Stadt anmelden, dies wurde versäumt. „Natürlich sind wir uns unseres Fehlers bewusst. Aber normalerweise ist es eine Formalie“, wird Abteilungsleiter Andreas Heiermann in der Zeitung zitiert. Kleiner Fehler, große Wirkung: Das Training des Tabellenführers fällt aus.
„Wir können einen Tag vor einem Bundesliga-Spiel nicht trainieren, das ist eine absolute Katastrophe“, schimpft Heiermann. Trainer André Fuhr sagt: „Seit zweieinhalb Jahren muss ich darum bitten, dass mir jemand die Halle aufschließt. Bei keinem anderen Verein habe ich das so erlebt.“ Das Spiel gegen Union Halle-Neustadt geht tags darauf trotzdem deutlich mit 27:20 an die Dortmunderinnen.
Es wurde Licht
Der AFC Marine trifft in der ersten Runde der FA Trophy – einem Pokalwettbewerb für semiprofessionelle englische Fußball-Teams – auf den FC Dunston UTS. Gut 1200 Zuschauer sind an einem Samstagnachmittag Mitte November im Rossett Park in Crosby, einem Vorort von Liverpool, zugegen. In der zweiten Halbzeit macht das Flutlicht nicht mehr mit. Ungünstigerweise ist derjenige krank, der sich beim Heimteam um die Elektrik kümmert. Ein Abbruch inklusive Neuansetzung unter der Woche droht. Darauf haben vor allem die Gäste wenig Lust, ihr Anreiseweg beträgt 300 Kilometer.
Also nimmt sich Dunstons Phil Turnbull der Sache an. Der 34-Jährige ist von Beruf Elektriker. Im Internet gibt es Bilder, wie er im Trikot mit der Nummer 4 vor einem Stromkasten hockt, auf dem zwei Bierbecher stehen. Viel Zeit bleibt ihm nicht, der Schiedsrichter hat eine Frist gesetzt, bis wann es weitergehen muss. Turnbull bringt ein Flutlicht in Gang. Mehr ist ohne Werkzeug nicht möglich. Doch es kommt rechtzeitig ein Elektriker mit passender Ausrüstung. Zwar verliert Dunston im Elfmeterschießen, aber Turnbull ist trotzdem der Held des Tages. Auf seinem Handy gehen 300 Nachrichten ein. Und ein zeitraubendes Wiederholungsspiel unter der Woche bleibt ihm und den Teamkollegen erspart.
Neun Pfeile für ein Halleluja
William Borland ist zum ersten Mal im Alexandra Palace dabei. In seinem ersten Spiel überhaupt bei einer Darts-WM trifft der Schotte im Dezember auf den Engländer Bradley Brooks, ebenfalls Debütant. Es geht bei 2:2-Sätzen und 2:2-Legs um alles. Borland spielt auf einmal atemberaubend gut, sechs Versuche, sechs Volltreffer. Die Zuschauer toben.
Aber „Big Willie“ ist noch nicht fertig. Dreifach-20, Dreifach-20, Doppel-12. Die Zuschauer rasten aus, Borland hüpft jubelnd über die Bühne. Neundarter – auch das perfekte Spiel genannt – sind selten, bei einer WM sind sie noch seltener, in einem entscheidenden Leg gab es dort noch nie einen. Das ändert William Borland, wohnhaft im kleinen Örtchen East Calder in der Nähe von Edinburgh. „Es ist die großartigste Nacht meines Lebens“, sagt der 25-Jährige. Zu den vielen Gratulanten via Twitter gehört auch Phil Taylor, die Legende dieser Sportart. Mit der Partystimmung ist es schnell vorbei – fünf Tage später kommt für Borland das Aus in der zweiten Runde.