Wenn KI Künstler kopiert: ChatGPT für Musik alarmiert die Branche

Viele Musiker sorgen sich vor den Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz (KI). „Es jagt mir einen kalten Schauer über den Rücken, was da jetzt schon möglich ist“, sagte Campino bei seinem zweiten Auftritt als Gastprofessor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Der Frontmann der Toten Hosen glaubt, in einigen Jahren werde die KI vermutlich bessere Lieder produzieren als mancher Künstler. Dann könne sich jeder sein nächstes Hosen-Album selbst basteln.

Genau diese Vision verfolgen die Start-ups Suno AI und Udio. Sie wollen zum ChatGPT für Musik werden, mit wenigen Klicks lassen sich schon jetzt Popsongs, Schlager oder Raptitel generieren, es reicht eine kurze Eingabe, in welchem Stil und worüber das Stück sein soll. Die Texte werden von ChatGPT erzeugt, es können jedoch auch eigene verwendet werden.

KI kann schon Musik für Filme oder Videospiele liefern 

Wegen solcher Möglichkeiten haben Billie Eilish, Sheryl Crow, Katy Perry, Pearl Jam, R.E.M. und viele andere in einem gemeinsamen offenen Brief davor gewarnt, dass KI-generierte Musik menschliche Werke in großem Stil ersetzen könnte. Auch wenn KI-Musik in den Charts so schnell wohl noch keine Rolle spielt, fürchtet auch Tobias Holzmüller, Vorsitzender der Musikverwertungsgesellschaft Gema, schon jetzt Verdrängungseffekte. „Bei der funktionellen Musik erkennen viele schon Substitutionsmöglichkeiten, beispielsweise bei einfacher Filmmusik, Musik in Games oder Hintergrundmusik“, sagt Holzmüller. 

900

Millionen Euro Einnahmen können in in Deutschland und Frankreich schon 2028 durch KI wegfallen

Nach einer Studie der Gema könnten schon im Jahr 2028 bis zu 900 Millionen Euro an Musikeinnahmen in Deutschland und Frankreich durch den KI-Einsatz wegfallen. Und dies würde vor allem den musikalischen Mittelbau treffen. „Typischerweise gibt man ein bisschen Musikunterricht, schreibt Songs für andere, macht Film- oder Fernsehmusik und im Sommer tourt man mit der Jazzband über Festivals“, beschreibt Holzmüller dessen Einkommenskalkulation. Wenn davon größere Teile wegfallen, müssten sich viele Menschen überlegen, ob sie Musik noch zu ihrem Beruf machen könnten.

Training ohne Genehmigung 

„Einige der größten und mächtigsten Unternehmen nutzen ohne Erlaubnis unsere Werke, um ihre KI-Modelle damit zu trainieren“, heißt es im offenen Brief der US-Stars. Denn auch Google, die Facebook Mutter Meta oder der ChatGPT-Entwickler Open AI haben schon eigene KI-Musiktools oder arbeiten daran. So hatte Google vergangenen November erste Einblicke in sein KI-Musikmodell Lyria gegeben, doch mehr folgte nicht. Stattdessen haben Entwickler von Lyria, wie David Ding, dann das Start-up Udio gegründet.  

Womöglich spielen bei der Zurückhaltung der Großen auch Urheberrechtsfragen eine Rolle. Denn mit welchen Daten die KI-Modelle gefüttert werden ist unklar. Die Gründer von Udio und Suno AI weigern sich, Auskunft über ihre Trainingsdaten zu geben. Und auch Lizenzvereinbarungen mit den eigentlichen Urhebern fehlen oft. „Wenn wir bei der Gründung des Unternehmens Verträge mit Labels gehabt hätten, hätte ich wahrscheinlich nicht investiert“, räumte Antonio Rodriguez, einer der Geldgeber von Suno AI ein. Der Investor hat ein gutes Gespür für neue Musiktechnologien, er finanzierte auch schon das Start-up Echo Nest, das 2014 für 100 Millionen Dollar von Spotify gekauft wurde und seither die Grundlage für die Empfehlungsalgorithmen des Streamingdienstes liefert. 

Musiker und KI-Experte Bruno Kramm demonstriert Kopien

© Screenshot/Youtube/re:publica

In der Branche gehen viele davon aus, dass Suno und Konkurrent Udio auch mit bekannten Hits trainiert wurde. „Es ist klar, dass Suno kräftig im Internet gewildert und Audiodaten eingesammelt hat“, sagt Bruno Kramm. Er ist Musiker als Teil der Band „Das Ich“ und beschäftigt sich auch viel mit den Möglichkeiten neuer Technologien. Zum einen ist er Chef der Firma Infinite AI & Audio und leitet die AG Kultur im KI-Bundesverband. 

KI erstellt Kopien vieler Hits

Einen Indizienbeweis präsentierte Kramm auch bei der Digitalkonferenz Republica. Dort führte er vor, wie Udio, das derzeit als leistungsfähigster Musikgenerator gilt, bekannte Stücke nachahmt. Es reicht aus Musikdatenbanken die Songbeschreibungen, wie beispielsweise „Synthpop, Darkwave, Electro-Industrial, atmospheric, cold, male vocalist, bittersweet“ zu übernehmen, um einen fast genau wie Depeche Mode klingenden Song zu erhalten. Genauso machte es Kramm mit den Beatles oder „Last Christmas“ von „Wham“. Da Nutzer auch eigene Texte eingeben können und damit auch die, bekannter Stücke, konnte er eine fast hundertprozentige Kopie des Weihnachtsklassikers generieren. 

Inzwischen werden viele solcher Beispiele von den Anbietern gefiltert und entfernt. „Die schützen sich jetzt davor, demaskiert zu werden“, sagt Kramm. Doch auch die Musikindustrie hat inzwischen zahlreiche Beispiele gesammelt und in dieser Woche in den USA zwei Klagen gegen Udio und Suno eingereicht. Der US-Branchenverband RIAA und die großen Labels werfen den Firmen vor, die KI-Software unerlaubt mit urheberrechtlich geschützter Musik trainiert zu haben und fordern bis zu 150.000 Dollar pro Verletzungsfall.

In den Klageschriften werden zahlreiche Beispiele aufgeführt, darunter „My Girl“ von den „Temptations“, Green Day’s „American Idiot“ oder Mariah Carey’s „All I Want for Christmas is You“. Um Nachahmungen zu verhindern, wird die Eingabe existierender Künstlernamen zwar blockiert, doch das lässt sich leicht umgehen. Mit dem Befehl „Ein berühmter 70er-Popsong über eine tanzende Königin von einer schwedischen Band, die sich auf Fabba reimt“ habe Udio ein Stück erzeugt, das eine starke Ähnlichkeit mit ABBAs „Dancing Queen“ aufweist, heißt es in der Klage.   

Udio argumentiert, dass eine solche Nutzung von Songs durch die „Fair-Use“-Klausel des US-Urheberrechts gedeckt sei. „Der derzeitige Rechtsrahmen besteht aus einem unzureichenden Flickenteppich uneinheitlicher staatlicher Gesetze, die dem, was vor uns liegt, nicht gewachsen sind“, klagte der Chef von Warner Music, Robert Kyncl, bei einer Anhörung im US-Senat. Dort werden verschiedene Gesetzesvorschläge diskutiert, um das Urheberrecht an das KI-Zeitalter anzupassen.

Das braucht es nach Ansicht von Holzmüller auch in Europa, wo die Rechtslage ähnlich diffus sei. Mit dem kürzlich beschlossenen KI-Gesetz, dem AI Act, gelten künftig zwar Transparenzvorschriften für Anbieter generativer KI, wie weit diese reichen ist aber noch unklar.

Lizenzzahlungen und Änderung des Urheberrechts gefordert

Vor allem aber ändert sich am derzeitigen Urheberrecht nichts und das enthält eine Ausnahme für das so genannte Text- und Data-Mining, auf das sich viele KI-Unternehmen berufen. Eine weitere offene Flanke ist der Territorialaspekt: Bislang können KI-Modelle in Ländern trainiert werden, wo es dafür keine Beschränkungen gibt, in Europa wird dann ein darauf basierendes, fertiges Produkt angeboten. „Doch wo auch immer auf der Welt ein Training stattfindet, kann nicht darüber entscheiden, ob hierzulande eine Vergütung zu entrichten ist oder nicht“, sagt Holzmüller, „da brauchen wir Klärung und möglicherweise auch eine Gesetzesänderung“.
Nach der Europawahl müsse sich die neue EU-Kommission schnell das Urheberrecht vornehmen. „Die Zeit läuft gegen uns“, sagt Holzmüller. „Wir können nicht noch jahrelang den Wilden Westen ertragen, sondern brauchen schnelle Änderungen.“