Schwarmzellen im Weltraum

Eine ganze Woche lang hat sich das Berliner Andromeda Mega Express Orchestra im Radialsystem eingenistet, um das einzuspielen, was ab dem heutigen Dienstag als Streaming-Festival zu sehen ist, da der Besuch von Live-Konzerten ja gerade nicht möglich ist. Die vierten Kosmostage, eine Festivalreihe des Orchestras, gibt es nun als dreitägiges Online-Programm bis zum 29. April.

Danach wird man sich die insgesamt acht Konzertmitschnitte, die nach und nach hochgeladen werden, um ein wenig den linearen Ablauf eines physisch erlebbaren Festivals zu simulieren, auch weiterhin über die Homepage des Orchestras per Stream zu sehen sein. Während des Online-Festivals gibt es außerdem die Möglichkeit, mit den Musikern und Musikerinnen des Ensembles zu chatten.

Schaut man sich allein den Plan mit den Proben und den im Radialsystem eingespielten Konzerten für diese sechs Tage Mitte April an, lässt sich erkennen, was hier für ein enormer logistischer und organisatorischer Aufwand, ganz im Zeichen der Pandemie, betrieben wurde. Rund um die Uhr gab es Soundchecks und Videodrehs und zwischendurch vor allem eines: lüften, lüften, lüften. Vor jedem Arbeitstag mussten sich die 18 Musiker des Ensembles und etwa ein Dutzend Techniker auch noch selbst testen.

Oliver Potratz, einer der künstlerischen Leiter der Veranstaltung, sagt, „es war hart, aber auch sehr erfüllend. Mal wieder künstlerisch tätig sein zu dürfen, war für alle Beteiligten extrem wichtig. Wir haben uns gefühlt wie die Fische im Wasser.“

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Seit 15 Jahren existiert das Ensemble unter der Leitung des 1984 geborenen Saxofonisten und Komponisten Daniel Glatzel. Es hat sich weltweit einen Ruf als außergewöhnliche Formation zwischen allen Stühlen erspielt. Jazz und Neue Musik sind zwei Eckpfeiler des Andromeda Mega Express Orchestra, das aber auch keine Angst vor Popmusik hat. Es spielte beispielsweise schon mit Bands wie The Notwist und Efterklang zusammen.

Psychedelische Entrückung haben sie auch drauf

Auch bei dem, was bei den Kosmostagen unter dem Motto „Interstellar Waggle Crush“ dargeboten wird, zeigt sich wieder die enorme Bandbreite des Ensembles. Da gibt es die klassischen Andromeda-Performances, bei denen die Streicher, Bläser, die Harfe und was das Ensemble sonst noch alles aufzufahren weiß an Instrumenten, miteinander agieren.

Doch wenn man dann denkt, man versteht, wohin die musikalische Reise geht, vernimmt man plötzlich Versatzstücke aus alpenländischer oder tschechischer Volksmusik und brasilianischen Sounds, es wird gesungen und eine Gitarre kommt hinzu. In einem der Konzertstränge trifft das Ensemble auf das Fiepen und Blubbern eines modularen Synthesizers – psychedelische Entrückung hat das Orchester ebenfalls drauf.

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Man erlebt hier acht Konzerte des gleichen Ensembles, aber man muss sich tatsächlich auch alle acht ansehen, um das Andromeda Mega Express Orchestra wirklich verstehen und dessen enorme Freude am Experimentieren vollständig erfassen zu können. „Forschungen“ nennt Oliver Potratz das, was das Ensemble betreibt und ergänzt: „Das Ergebnis sind vier Stunden Musik, die es echt in sich haben. Das Spektrum ist extrem breit und es gibt keine stilistischen Restriktionen.“

Vor etwa eineinhalb Jahren habe man mit den Planungen für die vierten Kosmostage begonnen, sagt er. Man habe die Dinge diesmal etwas anders angehen wollen als bisher. So gibt es neben den klassischen Auftritten des 18-köpfigen Ensembles – etwa am Eröffnungstag mit Kompositionen von Daniel Glatzel –, auch noch mehrere Auftritte kleinerer Formationen.

Das Orchester teilt sich dafür in drei so genannte Schwarmzellen auf. „Lacerta Cluster“, „Cassiopeia Cloud“ und „Perseus Flock“ gehen auf ihre eigenen interstellaren Soundtrips, die etwas kammermusikalischer ausgerichtet sein werden.

Ambitioniertes visuelles Konzept

Dass es neben der Gesamtleitung von Daniel Glatzel nun gleich vier weitere künstlerische Köpfe gibt, die für die einzelnen Zellen des Orchesters zuständig sind, ist ebenfalls eine Neuerung. Genau wie das Online-Format, bei dem sich das Ensemble viel Mühe gegeben hat, denn geboten wird mehr als nur ein starr abgefilmtes Bühnengeschehen.

Die Kameras fangen immer wieder einzelne Musiker und Musikerinnen ein und beobachten sie für eine Weile, es wird mit Auf- und Abblenden gearbeitet, dazwischen gibt es allerlei Lichteffekte. Auch daheim auf der Wohnzimmercouch bekommt man so das Gefühl, echten Shows beizuwohnen, die für ein echtes Publikum konzipiert wurden.

Niemand hat mehr wirklich Lust auf Streaming-Konzerte. Alle möchten wieder raus und livehaftig etwas erleben. Doch die Online-Präsentation der vierten Kosmostage sind ein Ersatz für das physische Erlebnis, der sich wirklich sehen lassen kann.