Natascha Ungeheuer in der Galerie Brockstedt: Bilder wie Bühnen

Boris Brockstedt erzählt nicht zum ersten Mal von der Begegnung seines Vaters mit der Künstlerin Natascha Ungeheuer. Dennoch provoziert die Erinnerung ein breites Lächeln beim Galeristen: Damals leitete Hans Brockstedt die Galerie, und als dort alles für Ungeheuers erste Ausstellung vorbereitet war, wollte der Galerist mit ihr endlich über die Preise der Bilder sprechen. Zum Entsetzen der Malerin. Sie hatte gar nicht vor, auch nur eines davon abzugeben.

Auf vier Bilder habe man sich schließlich geeinigt, erzählt Boris Brockstedt. Seit 1992 führt er nicht bloß die Galerie in Hamburg weiter, sondern hat zusätzlich eine Dependance in Berlin. Hier, wo seit 1962 auch Natascha Ungeheuer in Kreuzberg lebt und arbeitet, fand vor vier Jahren nach längerer Pause eine Soloschau statt.

Wieder standen bloß vier Gemälde zum Verkauf. Es sei nie genug, um die Fans der inzwischen 87-jährigen Malerin zufriedenzustellen, meint Brockstedt. Doch er weiß, dass die Bilder ein ganzes Leben erzählen und Ungeheuer sich von diesen Erinnerungen nur schwer trennen kann. Wer verkauft schon sein Gedächtnis?

In ihren Hochformaten trifft Biografisches auf Fantastisches. Auf Artisten, Zirkustiere, fliegende Fische, einstürzende Neubauten. Selbst in der Bahn, deren Passagiere von oben gemalt sind, offenbaren sich magische Details: Einem Mann wächst ein Haus aus dem Ausschnitt seiner Jacke, ein anderer trägt Klaviertasten wie einen Schlips.

Köpfe kriechen aus dem Sakko

Nächtliche Szenen zeigen maskierte Paare beim Tanz oder ein Piano auf einem Pritschenwagen. Dass es umzieht, verrät der Titel des Bildes, nicht aber, weshalb der Pianist noch im Fahren weiterspielt. Auf der Bank im Vordergrund sitzen zwei Frauen und ein dandyhaft gekleideter Mann. Ihm kriechen drei Köpfe aus dem Sakko, im Hintergrund türmen sich Häuser, von rechts ergießt sich eine graue Wolke, aus der stählerne Krallen ragen.

Auch das ist typisch für Ungeheuer. Bei aller Liebe, wie sie das Paar auf der linken Seite in einer Art Box voller Blumen und Bäume verkörpert, lauern ebenso Gefahren in ihren verschachtelten Kompositionen. Die Künstlerin ist keine Traumtänzerin, sondern sie hält das Leben in seinen Facetten fest. Ungeheuer war im Kreuzberger Straßentheater aktiv, hat Bühnenbilder gemalt und wollte zum Zirkus. Ihrem Partner Johannes Schenk zuliebe blieb sie schließlich in Kreuzberg, illustrierte Bücher von Christian Morgenstern oder Wolf Biermann und brachte sich das Malen mit feinsten Pinseln bei.

Die aktuelle Ausstellung dokumentiert diese Entwicklung: Sie startet mit frühen Bildern wie dem „Prozess“ aus den frühen sechziger Jahren, vollzieht die Perfektionierung nach und klammert persönliche Katastrophen nicht aus. Ein Gemälde erzählt von Schenks Beerdigung im Jahr 2006. Vom endlos langen Trauerzug und der untröstlichen Malerin, die den Sarg an einer Kordel herablässt, sich in einem roten Faden verfängt und zugleich einen Moment intimer Zweisamkeit für alle sichtbar rekapituliert: Schenk und Ungeheuer stehen umschlungen am Meer. Wie ein Vorhang schiebt sich die Szene ins Bild, doch der Stoff brennt, die Erinnerung zerfällt zu Staub.

Im Kosmos der Künstlerin begegnen sich das Schöne und der Schrecken. Ihre Malerei mixt naive Kunst mit neuer Sachlichkeit, motivisch bleibt Natascha Ungeheuer flexibel. Einzigartig ist ihre Imagination. Man versteht die Sammler, die leise enttäuscht aus der wunderbaren Ausstellung gehen, weil sie auch jetzt kein Bild erstehen konnten. Obwohl Boris Brockstedt diesmal zehn Werke zur Verfügung standen.