Asterix im Land der Amazonen
Asterix, Obelix, Idefix und ein halbgefrorener Miraculix erreichen mit einem Pferdeschlitten eine Siedlung aus Holzhütten inmitten einer stimmungsvollen Schneelandschaft. Der hagere Schamane Terrine erwartet sie. Er ist ein alter Freund von Miraculix, der dem Druiden im Traum erschien, um ihn um Hilfe zu bitten.
Das opulente Panel ist eines der ersten bekannt gewordenen Bilder aus dem heute erscheinenden neuen Asterix-Album. Eine weitere beeindruckende Zeichnung, die vorab veröffentlicht wurde, zeigt eine römische Legion, die einen verschneiten Gebirgsweg entlang marschiert. Der befehlshabende Zenturio und seine Soldaten betrachten beunruhigt einige hölzernen Götzenbilder, die bizarre Ungeheuer mit aufgerissenen Mäulern und scharfen Zähnen darstellen.
„Asterix und der Greif“ (Übersetzung Klaus Jöken, Egmont, 48 S., Softcover 6,90 €, Hardcover 12 €) ist das 39. Abenteuer der Reihe und inzwischen das fünfte, das Szenarist Jean-Yves Ferri und Zeichner Didier Conrad zusammen umgesetzt haben. Nachdem der ursprüngliche Asterix-Zeichner Albert Uderzo 2020 mit 92 Jahren starb – sein früherer Szenarist und Co-Schöpfer der Serie, René Goscinny, war bereits 1977 verstorben –, tragen Ferri und Conrad nun die Verantwortung für die Asterix-Comics.
Beide sind 1959, im Jahre von Asterix’ erstem Auftritt im Comicmagazin „Pilote“, geboren.
Jean-Yves Ferri, der anlässlich der Veröffentlichung des Albums kürzlich Berlin besuchte, erinnert sich gerne an die Begegnungen mit Uderzo: „Albert hat mich und Didier stets bei sich zu Hause empfangen – in herzlicher Atmosphäre, die gar nichts Geschäftliches an sich hatte. Damals, 2011, war er wohl erleichtert, dass er die Last von Asterix abgeben konnte. Und es hat ihn später sehr gefreut, dass unsere neuen Geschichten bei Publikum und Kritik gut ankamen.“
„Der Verlag legt Wert darauf, dass wir Uderzos Tradition fortführen“
Die Grundzüge der Handlung des neuen Bands hat Uderzo sogar noch lesen können, das fertige Album konnte er nicht mehr anschauen. Uderzo hat dem neuen Team, abgesehen von zeichnerischen Ratschlägen zu dessen ersten Band „Asterix bei den Pikten“ (2013), vertraut und es frei arbeiten lassen.
Und auch der Rechteinhaber, der Verlag „Les Éditions Albert René“ (Teil der Hachette-Verlagsgruppe) lässt den Autoren viel Freiraum. Ferri: „Der Verlag legt Wert darauf, dass wir Uderzos Tradition fortführen, unsere Comics also mit der Hand zeichnen, wie er bis zuletzt.“ Seit Jahren lebt Didier Conrad in Texas, während Ferri in Südfrankreich wohnt.
„Wir sind wir ein eingespieltes Team“, sagt Ferri, „wenn mein Szenario fertig ist, schicke ich Didier nicht nur den Text, sondern auch bereits ein von mir gezeichnetes rohes Storyboard, und er arbeitet das dann aus. Immer wenn er zehn Seiten fertig hat, schickt er sie dann an mich, um Feedback zu bekommen.“ Didier Conrad zeichnet dafür alle Seiten im Detail vor, und „wenn es keine Fragen mehr gibt, fängt er an zu tuschen. Ab dann macht er alleine weiter“.
[Asterix und Obelix kommen auch in anderen Medien viel rum: Als Kino-Helden und bei Netflix. Mehr dazu hier.]
„Asterix und der Greif“ ist nach dem Album „Die Tochter des Vercingetorix“ von 2019, das im gallischen Dorf spielte, wieder ein klassisches Reiseabenteuer. Nach so vielen Jahren ist es gar nicht einfach, eine Weltgegend zu finden, wo Asterix und Obelix noch nicht waren.
„Da ist mir der Osten Europas aufgefallen, der noch nicht vorkam“, sagt Ferri. „Es handelt sich mehr um ein erfundenes Land, auch wenn es etwa im Gebiet der Ukraine und Russlands zu verorten ist. Doch ich denke, die Mischung aus Historie und Fiktion funktioniert.“
Vom dort lebenden Reitervolk der Sarmaten – Vorläufer der Slawen – gibt es wenig Zeugnisse: „Ich habe etwas Folklore aus späteren Epochen hineingebracht, um sie uns näherzubringen. Mongolische Jurten und russische Holzhäuser, die typischen kleinen Pferde, Steppen wie in der Mongolei, das Altai-Gebirge … die Phantasie kann da manche Lücke ausfüllen.“
Schon Herodot schrieb von Amazonen, die gegen Greife kämpfen
Daneben spielen auch mythologische Motive eine große Rolle. Der titelgebende Greif – ein riesiges Fabelwesen, das Kopf und Flügel eines Raubvogels sowie den Körper eines Löwen hat – taucht in vielen antiken Hochkulturen in unterschiedlicher Bedeutung auf, auch bei den Sarmaten.
Zu Beginn des Albums wird Cäsar vom Geologen Globulus auf die Beschreibung von Greifen in den Werken des „Rigoros von Migraene“ aufmerksam gemacht. Ferri erläutert: „Der antike Geschichtsschreiber Herodot zitiert in seinen Historien aus einem heute verschollenen Epos des Aristeas von Prokonnesos. Er erzählt von Amazonen, die gegen Greife kämpfen, um an das von ihnen gehütete Gold heranzukommen.“
Im Comic erteilt Cäsar Globulus den Auftrag, eine Legion auszurüsten und ein solches Ungeheuer einzufangen. Natürlich, um seine Beliebtheit beim Pöbel zu erhöhen und spektakuläre Kämpfe gegen den Greif im Circus Maximus zu veranstalten.
Der Schamane Terrine bittet angesichts der drohenden Entführung des für die Sarmaten heiligen Tieres durch die Römer die Gallier um Hilfe gegen die Römer. Ein unerwartetes Problem tritt auf: der Zaubertrank, den Miraculix aus Gallien mitgebracht hatte, hat durch die eisigen Temperaturen seine Wirkung verloren.
[Kürzlich ist ein bislang unbekannter Textentwurf von Asterix-Schöpfer Goscinny entdeckt worden – mehr dazu hier.]
Asterix und Obelix machen sich derweil mit den Sitten und Gebräuchen im sarmatischen Dorf vertraut. Dabei fällt ihnen auf, dass die Männer am Herd stehen und sich um Kindererziehung kümmern, während sich die Frauen als selbstbewusste, kriegerische Reiterinnen erweisen. Es sind Amazonen!
Auch für diesen Einfall gibt es Belege aus Historie und Mythologie, verweisen doch viele antike Berichte von Amazonen wie auch archäologische Funde zum Beispiel von Waffen in Frauengräbern auf sarmatische Ursprünge, unter anderem in Südrussland und der Mongolei.
Das ist für Ferri auch ein augenzwinkernder Kommentar zu aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten: „Da klingt natürlich die heutige Zeit an. Was ich hier lustig fand, war zu zeigen, dass Asterix etwas perplex reagiert, als er mit den ‘sarmatischen Verhältnissen‘ konfrontiert wird.“ Auch Goscinny hat ja immer aktuelle Anspielungen eingebaut.
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Und es gibt noch weitere: Die ambivalente Figur des römischen Geografen Globulus trägt etwa die Züge von Frankreichs Schriftsteller-Enfant-Terrible Michel Houellebecq. „Ein Intellektueller musste her für diesen Part“, sagt Ferri, „und da fanden Didier und ich, dass Houellebecq das interessanteste Gesicht beziehungsweise die perfekte Nase für diese Figur hatte.“ Sein streitbares Image, sein „Hang zur Polemik“ (Ferri) passte perfekt zu Globulus.
Ausdiemaus und Brudercus
Das Album wurde von Didier Conrad wie gewohnt handwerklich überzeugend gestaltet, Uderzos Stil sehr nahekommend. Besonders gelungen ist die winterliche Atmosphäre in größeren Panels, die oft vor Details überquellen. Conrad strebte eine leicht märchenhafte Atmosphäre an. Das Szenario des neuen Albums ist reich an Facetten, verzettelt sich hie und da allerdings in Details.
Da es eine Fülle neuer Figuren gibt – zahlreiche Amazonen und männliche Sarmaten, drei römische Protagonisten sowie Wölfe als Idefix’ neue Spielgefährten – bleiben manche Charaktere etwas klischeehaft, wie etwa Globulus’ Begleiter, der grobschlächtige Römer Ausdiemaus und der Zenturio Brudercus. Unter Römern machen Verschwörungstheorien vom Ende der Welt die Runde (durch den Legionär „Fakenius“), was zwar witzig, aber auf Dauer etwas dialoglastig ist.
Die Amazonen glänzen dafür mit mehr Charisma. Etwas vernachlässigt erscheint bei all dem Trubel der Held Asterix, während Obelix mehr Platz zur Entfaltung erhält, aus Sorge um den verschwundenen Idefix Qualen leidet und dabei sogar seinen Wildschweinappetit zu vergessen scheint. Er akzeptiert schnell die sarmatische Küche, die vorwiegend aus „vergorener Stutenmilch“ besteht und seinen Magen zum Donnergrollen bringt.
So gelingt Jean-Yves Ferri und Didier Conrad ein witziges wie turbulentes neues Abenteuer, das in einen eher unbekannten Winkel der Antike entführt. Und der Greif? Existiert er wirklich? Die Auflösung dazu ist schlüssig, hätte aber durchaus ausführlicher erfolgen können.