Comiczeichner Andre Lux: „Ich kann sehr, sehr, sehr vieles nicht zeichnen“
Wer hat sie künstlerisch geprägt? Was ist für sie der besondere Reiz am Erzählen mit Bildern? Und was können sie überhaupt nicht zeichnen? Im Tagesspiegel-Fragebogen geben Zeichnerinnen und Zeichner Einblicke in ihre Arbeit und in ihre Leidenschaft für die Kunstform. Heute: Andre Lux, der seit 1994 die Comic- und Cartoon-Reihe „Egon Forever!“ zeichnet und dessen jüngstes Buch „Toni vom Kiosk“ gerade im Verlag Cross Cult erschienen ist.
1. Was kommt bei Ihrer Arbeit zuerst: Worte oder Bilder?
Das ist gar nicht leicht zu beantworten und oft sehr unterschiedlich, es hat sich in den letzten Jahren ziemlich verändert: Als Kind habe ich einfach drauf los gemalt, zuerst die Panels gezeichnet, dann die Figuren da rein und die Sprechblasen befüllt. Bis zum letzten Panel war mir selten klar, wie die Geschichte ausgehen wird.
Später war es dann ähnlich: Ich begann in einer Zeichensession meist mit der ersten Figur und je nachdem welche Mimik oder Gestik diese zeigte, baute ich in meiner Fantasie die Geschichte weiter auf. In den letzten Jahren kommt definitiv häufiger der Text zuerst, denn ich habe mir angewöhnt, die Ideen nicht mehr aus der Zeichensituation entstehen zu lassen, sondern Gedankenimpulse und Dialoge aus dem Alltag direkt mit dem Smartphone zu notieren und dann später zu zeichnen und nachzubessern.
Bei meinem Buch „Lars – Der Agenturdepp“ habe ich das erste Mal mit einem richtigen Skript gearbeitet, das ich dann erst nach Fertigstellung visualisiert habe, bei den Nachfolgern und nun auch bei „Toni vom Kiosk“ habe ich das wieder so gemacht. Einzig bei meinen selbstveröffentlichten „Borleck!“-Magazinen gönne ich es mir, komplett frei zu drehen und zu zeichnen, was mir in den Sinn kommt, das lässt den Inhalt dann um einiges anarchischer und absurder werden.
2. Hören Sie beim Zeichnen Musik, und wie beeinflusst Sie das?
Sofern der Text oder der Ausgang des Cartoons oder des Comics schon feststehen kann ich mir von Podcasts bis hin zu bockstarkem Hardcore-Skatepunk alles während des Zeichnens anhören und ich würde behaupten, dass es dann eher zur Konzentration beiträgt und im besten Fall die Mimik meiner Figuren etwas feiner oder akzentuierter wird. Bei Strichfiguren kann schon ein Millimeter darüber entscheiden, welche Stimmung eine Person ausstrahlt.
Wenn ich allerdings eine Situation oder eine Geschichte gerade aus dem Nichts erschaffen möchte, lenkt mich Musik mit Gesang oder Sprache eher ab, es sei denn es sind Sachen, die ich schon in- und auswendig kenne, und im besten Fall wird nicht auf Deutsch gesungen, denn sonst drücken die Worte zu sehr in den Kopf. Vor allem, wenn mir spontan etwas einfallen soll oder ich Aufträge anhand verschiedener Eckdaten pointiert umsetzen muss (beispielsweise bei personalisierten Originalzeichnungen), ist jegliche mediale Ablenkung Gift und boxt mich sehr schnell aus der kreativen Gedankenkuppel. Da hilft dann meistens nur ein kurzer Spaziergang mit dem Hund, um kurz klarzukommen.
3. Was essen oder trinken Sie am liebsten bei der Arbeit?
Zu jeder Situation, in der ich mich wohl fühlen möchte, brauche ich entweder einen Kaffee (morgens bis mittags), eine Dr. Pepper (mittags) oder einen Tee (abends). Wenn das Ergebnis sperrig, schräg, ausgelassen oder völlig abgefahren sein soll, kann der Griff auch schon mal zum Bier gehen. Gegessen wird beim Zeichnen allerdings eher selten, außer es liegt eine Packung Gummischlümpfe parat.
4. Angenommen Ihre Wohnung brennt: Welche Comics würden Sie auf jeden Fall aus Ihrem Regal retten?
Von meinen eigenen? Die gibt es zum Glück noch in anständigen Mengen beim Ventil-Verlag oder bei Cross Cult im Keller. Ansonsten würde ich meine englischsprachigen Peanuts-Taschenbücher und die Reihe „Kill or be Killed“ retten. Alles andere, also beispielsweise Klassiker wie „Ghost World“, hole ich mir dann wieder in der Sammlerecke in Esslingen zum Kilopreis.
5. Welche Zeichner/innen und Autor/innen waren für Ihre eigene Entwicklung die prägendsten?
Aus Comicperspektive bin ich zwar mit Garfield, Peanuts, Ottifanten, Werner, Disney und „Gespenster Geschichten“ aufgewachsen, doch den größten popkulturellen Einfluss hatten auf mich auf jeden Fall eher Musik, Fernsehen und Film. Meine Cartoons und Comics sind ja eher pointen- und storybasiert. Wenn ich es auf eine einzige Sache herunterbrechen müsste, kann es nur eine Antwort geben: Den größten künstlerischen Impact auf mich hatte die Fernsehserie Alf.
6. Welchen Comic würden Sie jemandem empfehlen, der sonst eigentlich keine Comics liest?
Kommt drauf an, was die Person gerne an anderen Medien konsumiert. Bei Krimis oder Thrillern sicherlich was von Ed Brubaker, bei Musiknerds wahrscheinlich „American Splendor“. Humoristisches macht wahrscheinlich Hannes Richert in Deutschland am besten. Die Welt der Comics deckt ja eigentlich jegliches Interessensfeld ab, nur eben oft kreativer und experimentierfreudiger als andere Kunstformen.
7. Glauben Sie, dass der Comic aktuell die Aufmerksamkeit hat, die er verdient?
In Deutschland leider nicht. Hier sind Comics irgendwie immer noch totales Nerd-Gefilde und werden nicht als Transportmittel für gute Storys oder tolle Stimmungslieferanten wahrgenommen, zumindest keine klassischen Comics und vor allem nicht in meiner Generation.
Bei Manga sieht es da zum Glück schon anders aus: Hier scheint der Markt riesig und die Nachfrage enorm groß zu sein. Ich freue mich immer zu sehen, wie viele junge Menschen eine große Leidenschaft für Manga zeigen und lasse mir auch gerne Titel und Reihen empfehlen.
Übrigens total spannend: Ich reise hin und wieder in die USA und habe auch eine Zeit in Kanada gelebt und meine Zeichnungen auch in Do-it-yourself Manier als englische Heftchen raus- und dort in die Comicläden gebracht. Es kam kein einziges Mal vor, dass der Zeichenstil hinterfragt oder gar kritisiert wurde, einfach weil das dort nichts Besonderes mehr ist, dass Leute Kunst veröffentlichen, die offensichtlich „nichts können“, da ist sofort klar: Ahja okay, das hier funktioniert also über den Text und die reduzierte Darstellung von Mimik und Gestik.
8. Welche zeitgenössischen Comiczeichner/ innen verdienten mehr Aufmerksamkeit, als sie sie im Moment haben?
Sarah Burrini, Käptn.Qui und Michael Wild.
9. Wenn Sie einen hoch dotierten Preis für das Comic-Lebenswerk zu vergeben hätten, wer würde ihn bekommen?
Wenn sie auch in Zukunft genauso brutal abliefern wie in den letzten hundert Jahren, dann natürlich Hauck und Bauer.
10. Wie würden Sie einem Blinden beschreiben, was das Besondere an Ihren Comics ist?
Die humoristische Vielfalt und der reduzierte Stil, den man eher in Verbindung bringt mit der Kunst, die Menschen in jüngeren Entwicklungsphasen zu Stande bringen. Außerdem süddeutscher Charme und lässiger Punkrock-Spirit.
11. Woran arbeiten Sie derzeit, wenn Sie nicht gerade Fragebogen ausfüllen?
Ich drucke seit geraumer Zeit mein Textil-Merchandise selbst mit einem Sieb, arbeite an einem neuen Sammelband, der endlich den großen Durchbruch bedeuten wird, und lasse die letzten 30 Jahre „Egon Forever!“ in kleinen Videos Revue passieren und pflege meine Social-Media-Präsenzen. Außerdem möchte ich mich schon bald an ein neues „Borleck!“-Magazin setzen. Und da ich weit davon entfernt bin, von „Egon Forever!“ zu leben, arbeite ich derzeit vor allem in meinem Dayjob.
12. Wieso würden Sie einem jungen Menschen raten, Comic-Autor/in zu werden – und wieso würden Sie ihm oder ihr davon abraten?
Aus dem Blickwinkel eines Erziehers in der Jugendhilfe würde ich jungen Menschen jederzeit dazu raten, Comickünstler*in zu werden, sofern er oder sie eine Leidenschaft dafür hegt. Comics und Cartoons zu zeichnen ist ein wahnsinnig guter Kanal, um Emotionen zu verarbeiten, der Prozess an sich macht Spaß und wenn das Ergebnis zufriedenstellend ist kann es ganz schön viel Gutes in einem auslösen.
Außerdem würde ich auch immer dazu raten, wirklich alles zu zeichnen, was einem einfällt und vor allem alles aufzuheben, auch wenn es im Moment noch so albern oder schludrig erscheint. Das Zukunfts-Ich freut sich immer über die Werke von früher und über die persönliche Entwicklung, die man als Künstler*in gemacht hat. Wenn du dir überlegst Comickünstler*in zu werden, gibt es nur eine Antwort: Ja, mach!
13. Wie fühlt es sich für Sie an, Ihre Zeichnungen als gedruckte Bücher in der Hand zu halten?
Das ist je nach Release bisher unterschiedlich gewesen. „Dies ist ein Egon Forever Cartoonbuch!“ hatte ich damals erst auf der Buchmesse in der Hand und da vermengte sich die unbeschreibliche Freude über das allererste Verlagsbuch mit dem Geruch von Schweiß und Nazis, weil ich mich nicht unweit vom „Compact“-Stand aufhielt.
Bei „Lars – Der Agenturdepp“ erinnere ich mich noch an die Heimfahrt in der S-Bahn, als ich in Ludwigsburg den Vertrag unterschrieben hatte, und wusste, dass Cross Cult mir damit einen riesigen Gefallen getan hatte, denn hier handelte es sich jetzt nicht gerade um den nächsten „Walking Dead“. Das war toll. Je nach Intensität, Arbeit und Emotion, die im jeweiligen Werk stecken, ist das Gefühl ein anderes.
Bei „Toni vom Kiosk“ wird es sicherlich wieder ganz aufwühlend, denn das kleine Büchlein beinhaltet eine sehr persönliche Geschichte und einen Protagonisten, der sehr von einer echten Person inspiriert ist, die mich bereits viele Jahre meines Lebens begleitet.
14. Welche Noten hatten Sie im Kunstunterricht?
In Kunst war ich immer dann sehr gut, wenn man wirklich kreativ sein und sich im Werk verlieren durfte. Auch Interpretationen lagen mir ganz gut. Je enger das Korsett und je weniger Improvisation erlaubt war, desto schlechter wurden dann auch die Noten. Ich glaube, all in all war ich ein unauffälliger 2er-Schüler.
Ich erinnere mich noch an ein Wasserfarbenbild zu einer Textzeile der großartigen Indie-Band Pur, die uns damals unsere nette Hippie-Klassenlehrerin auftrug. Da hab ich eine glatte 1 bekommen, weil der Geist von Hartmut Engler einen kurzen Moment über meinem Zeichenblock schwebte.
15. Was können Sie überhaupt nicht zeichnen?
Wie man deutlich erkennen kann, kann ich sehr, sehr, sehr vieles nicht zeichnen. Zumindest nicht gut. Aber mit etwas Übung und der Google-Bildersuche bekomme ich verschiedene Dinge wie Tiere oder Pflanzen zumindest so hin, dass man sie eventuell erkennt.
Was in meinem Kosmos leider kaum möglich ist, ist die dreidimensionale Perspektive wie beispielsweise Menschen von der Seite, die nebeneinander sitzen. Diese ganzen Einschränkungen geben mir allerdings wiederum die Möglichkeit, neue Lösungswege anzugehen und die persönliche Darstellungsform mit dem zur Verfügung stehenden „Egon Forever!“ Werkzeug noch weiter zu verfeineren. 30 Jahre „Egon Forever!“ bedeuten vor allem eins: Dilettantismus als Stilmittel verkauft.