Der Ruf des Maxim Gorki Theaters ist in Gefahr
Die Liste ist lang und erschreckend. Es ist eine Berliner Liste: Rassismusvorwürfe im Theater an der Parkaue, einer Bühne für junges Publikum. Danach gibt es einen Neuanfang mit Doppelspitze. Beschwerden an der Staatsoper Unter den Linden wegen des Führungsstils von Daniel Barenboim. Die Angelegenheit wird irgendwie geschlichtet, der Vertrag des Maestro verlängert.
Volksbühne: Intendant Klaus Dörr tritt nach Vorwürfen wegen sexueller Übergriffigkeit zurück. Staatsballett: Vor dem Bühnenschiedsgericht kommt es zu einem Vergleich mit der Tänzerin Chloé Lopes Gomes, sie hatte wegen rassistischer Angriffe geklagt.
Und jetzt auch noch das Maxim Gorki Theater. In der kommenden Woche wird vor dem Bühnenschiedsgericht über den Fall einer Dramaturgin verhandelt, die gegen die Nichtverlängerung ihres Vertrags klagt. Gegen die Intendantin Shermin Langhoff haben sich in einem Beschwerdebrief mehrere Beschäftigte gewendet.
Es geht um Machtmissbrauch und Mobbing. All diese Vorfälle stammen aus den vergangenen zwei Jahren. So unterschiedlich sie auch gelagert sein mögen – es verdichtet sich der Eindruck, dass an etlichen Staatstheatern der Hauptstadt unhaltbare Verhältnisse herrschen.
Daniel Wesener, Grünen-Politiker im Abgeordnetenhaus, hat bei der Senatskulturverwaltung eine Anfrage zum Machtmissbrauch in Kultureinrichtungen gestellt. Am 26. April antwortete darauf Klaus Lederers Behörde: „Die SenKultEuropa hat hausintern eine Dienstvereinbarung für ein wertschätzendes Miteinander und zum Schutz vor Mobbing, sexueller Belästigung und Diskriminierung abgeschlossen und diese mit Maßnahmen unterfüttert, zu denen unter anderem das Angebot von Anti-Rassismus-Workshops für Mitarbeitende gehört.
Das Gorki setzt auf Moral
Diese Dienstvereinbarung gilt auch als Mustervorlage für die Kultureinrichtungen.“ Lederer hat ein Problem. Langhoffs Vertrag läuft bis 2026. Und kommt da vielleicht noch mehr aus anderen Ecken? Wer ist der Nächste?
Der Schaden ist besonders groß am Maxim Gorki Theater, dem Musterhaus für linke, diverse, interkulturelle Spielpraxis. Unter Shermin Langhoff hat sich die Bühne seit 2013 eindeutig positioniert: gegen Diskriminierung, gegen Rassismus, gegen jede Form von Diktatur. Der Spielplan ist von diesen Themen geprägt. Sie sind die Guten. Auf der Homepage schreibt Can Dündar seine Theaterkolumne. Das Gorki setzt auf Moral, und es gibt auch Kritiker, die sagen, dass dabei die Kunst hinter der Aktion zurückbleibt.
In der Szene ist bekannt, dass die Intendantin zu Ausbrüchen neigt, wie viele in Theaterspitzenpositionen. Jetzt aber droht der Ruf des Gorki zu zerbrechen, da sich Mitarbeiter juristisch gegen unerträgliches Verhalten der Vorzeige-Chefin wehren. Es diskreditiert die Glaubwürdigkeit der gesamten Unternehmung. Auf der Bühne wird gegen das Unrecht der Welt gekämpft, während sich hinter den Kulissen Tyrannei ausbreitet und die Intendantin Coaching braucht. Bitter für alle Seiten: Shermin Langhoff reißt ein, was sie und ihre Truppe über Jahre aufgebaut haben. Das Gorki braucht neue Perspektiven.
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Berlins Bühnen in schwerer Krise: Die miese Liste lässt sich auch anders betrachten. Üble Chefs gibt es überall, Mobbing und Übergriffigkeit sind pandemisch. Am Theater bricht jetzt etwas auf. Missbrauch wird nicht mehr unbedingt hingenommen. Befördert durch die Corona- Not, gibt es juristische und personelle Konsequenzen.
Nicht in jedem Fall, aber immer häufiger. Das Theater spielt nicht, aber es steht nicht still. In der langen Zwangspause ringt es mit sich und seinen Strukturen. Es kann da sogar ein Vorbild sein.