Ost-Berliner Kunst im Ephraim-Palast: Rebellion gegen die Holzköpfe

Der Anfang vom Ende beginnt schleichend, er zeigt sich in den Details. „VEB Zukunft“ steht auf dem Schild, das unter einem verrosteten Kleiderhaken hängt, der dieselbe erkennbar bereits hinter sich hat. „Fortschritt“ hat jemand auf eine Wand gekrakelt, die mit ihren Löchern und Rissen aussieht, als habe sie Ausschlag.

Das Signet des Woodstock-Festivals, eine auf einem Gitarrenholz hockende Friedenstaube, ist auf die Backsteinmauer eines Hinterhofs gepinselt, den man sich kaum trostloser vorstellen kann. Und die beiden ineinandergreifenden Hände vor roter Fahne, Symbol der Vereinigung von KPD und SPD zur SED, könnten jederzeit vom aufgeplatzten Putz herunterbröseln, der sie wohl die längste Zeit getragen hat.

Der Berliner Fotograf Ulrich Wüst hat in den Schwarzweißaufnahmen seiner zwischen 1978 und 1989 entstandenen Serie „Spuren“ den Niedergang der späten DDR festgehalten, in einer Phase, als die optimistischen Parolen schon längst von der tristen Wirklichkeit überholt worden waren.

Seine gewissermaßen in den Mikrokosmos der Alltagskulissen abtauchenden Vanitas-Bilder gehören zu den herausragenden Exponaten der Ausstellung „Aufbrüche. Abbrüche. Umbrüche“, mit der das Stadtmuseum Berlin im Ephraim-Palais auf die Ost-Berliner Kunst der Wendejahre zwischen 1985 und 1995 zurückblickt.

Versammelt sind rund 200 Werke von etwa 90 Künstlerinnen und Künstlern, die allesamt aus den Beständen des Stadtmuseums stammen. Seismografische Kraft hat diese Kunst, weil sie von Leuten erschaffen wurde, die mindestens ein gebrochenes Verhältnis zum SED-Regime hatten. „Kunst in der DDR war immer politisch“ und in der Hauptstadt Ost-Berlin habe sie „nah am Regierungsapparat geklebt“, sagte Christoph Tannert, Chef des Künstlerhauses Bethanien, als Zeitzeuge bei der Ausstellungseröffnung.

Doch in den achtziger Jahren begannen immer mehr Künstlerinnen und Künstler aus dem System auszusteigen, indem sie ein Netz von inoffiziellen Veranstaltungsorten, Galerien und Samisdat-Verlagen aufbauten. Allerdings mussten sie damit rechnen, dass die Stasi dort überall Spitzel „von innen implantiert hatte“, so Tannert, der sich als Kunstkritiker durchschlug, nachdem er wegen seiner „Nähe zu subkulturellen Strömungen“ beim Künstlerverband entlassen worden war.

Offen Kritik an den Verhältnissen zu äußern war in der DDR gefährlich, deshalb mussten Nonkonformisten zu klandestinen Mitteln greifen. Oft kommt ihre Auseinandersetzung mit den Widersprüchen und Mängeln des Realsozialismus verschlüsselt daher, in Form von satirischen Seitenhieben, die man schnell übersehen kann.

Hans Ticha, der als einziger Pop-Art-Künstler der DDR gilt, hatte es mit seinen piktogrammartigen Holzköpfen bis aufs Cover des Humormagazins „Eulenspiegel“ geschafft: Anzugträger mit Kugelschädeln, die sich selbst applaudieren. Doch die „Klatscher“, die nun in der Ausstellung hängen, wären in der DDR niemals veröffentlicht worden. Auf dem Rednerpult ihres Anführers klebt der Handschlag des SED-Parteiabzeichens.

Altmeisterlich. „Bildnis Susanne Rast“ von Clemens Gröszer.
Altmeisterlich. „Bildnis Susanne Rast“ von Clemens Gröszer.
© Foto: Stadtmuseum/VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Begrüßt werden die Besucher im Ephraim-Palais von einer Wand voller Selbstporträts. Hans Scheib hat sein Gesicht in ein nervös gestricheltes Liniengeflecht aufgelöst. Fritz Esenwein, der an der Kunsthochschule Weißensee exmatrikuliert worden war, weil er sich nicht zum „verlässlichen Gestalter des Sozialismus“ entwickeln wollte, linst zerknautscht durch kleine Brillengläser. Und Horst Sagert, berühmt für seine Bühnenbilder, belässt es bei einer zackig umrandeten Silhouette, die an einen Tintenfleck erinnert. Erkennbar lauter Individualisten, die sich dem von der Staatsführung propagierten Kollektivismus nicht unterordnen wollten.

Auch wenn sie mit dem sozialistischen Realismus gebrochen hatten, orientierten sich viele der an den Akademien in Leipzig, Dresden oder Berlin ausgebildeten Malerinnen und Maler an Expressionismus und Neuer Sachlichkeit.

Clemens Gröszer, der mit der von ihm gegründeten Gruppe NEON-REAL eine Ästhetik des „ungemilderten Draufzu“ forcierte, setzte auf seinem „Bildnis Susanne Rast“ eine schwarzgekleidete, bleichgesichtige Femme fatale so altmeisterlich in Szene, als stamme sie von Otto Dix.

In Joachim Völkners Heldenporträt des Schriftstellers Franz Fühmann, der vom Stalin-Besinger zum Regimekritiker mutierte, zeigt sich die Unruhe dieser Biografie bereits am zittrigen Pinselstrich.

In der Ausstellung blickt Fühmann in Richtung eines Schwarzweißbildes, das die Fotografin Christina Glanz bei einer Gedenkdemonstration für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht aufgenommen hat. Vermummte Gestalten trotten in der Januarkälte hinter ein paar Fahnen hinterher, man sieht nur ihre halb eingeschneiten Hinterköpfe.

Eingefrorene Bewegung, ein Sinnbild des gesellschaftlichen Stillstands. Überhaupt war die Fotografie das Medium, das in der DDR nicht bloß den Ist-Zustand genau zu registrieren, sondern auch künftige Veränderungen vorauszuahnen schien.

So steckt im trotzigen Blick, mit dem jugendliche Punks aus der Generation ihrer Kinder in die Kamera von Helga Paris schauten, schon der Mut eines kommenden Aufbruchs. Für die Kunstszene war Punk mit seiner Do-it-yourself-Ästhetik eine Bereicherung, für die Staatsführung nichts als eine Provokation. Wer sich die Haare hochsprayte und Sicherheitsnadeln durch die Lederjacke zog, musste damit rechnen, von den Sicherheitsorganen in Gewahrsam genommen zu werden.

Radikale Subjektivität wie in der Diplomarbeit „inter esse“ der Fotografin Maria Sewcz konnte als Angriff aufs System verstanden werden: verwischte Gesichter in Nahsicht, das Stillleben eines Fischessens im Restaurant, nächtliche U-Bahn-Fahrten, ein Zoom von Unter den Linden auf einen Turm des Reichstags im Westteil der Stadt.

Einige Arbeiten waren zu groß, um in die Rokokoräume des Ephraim-Palais zu passen, sie sind in der Nikolaikirche zu sehen. Ist Trak Wendischs Figurengruppe „Übergang“ (1990), bei der ausgemergelte Hunde zwei von Maschendraht umwickelte Riesen bewachen, eine Abrechnung mit dem Grenzregime des gerade untergegangenen Staats? Oder eine Parabel auf die Ankunft im Kapitalismus, in der der Mensch dem Mensch zum Wolf wird?

Der Mauerfall war ein Glücksmoment, danach kamen neue Verwerfungen. „Seele brennt“ heißt ein meterhoher Holzmensch von Klaus Killisch. In seiner Brust stecken glühende Dornen.

Zur Startseite