Wem gehört Berlin?: Die Dokumentarserie „Capital B“ sucht nach Antworten
Es gibt viele Momente bei dieser fünfteiligen Dokumentarserie, in denen man gerne ins Bild springen würde. Auch wenn man längst weiß, was in Berlin seit dem Mauerfall so alles schiefgelaufen ist. Doch Regisseur Florian Opitz kocht selbst die abgebrühtesten Berliner noch mal weich, mit seiner ersten Folge namens „Sommer der Anarchie“.
Die Hauptstadt nach der Wende wird hier als schmutziges Paradies erzählt, in dem für einen kurzen Moment in der Geschichte so wild wie möglich geträumt werden durfte, ohne dass jemand den Zeigefinger hob. Entweder, weil die anderen keine Kraft dazu hatten, oder weil sie selbst mit Träumen beschäftigt waren.
„Kirchen, Fabrikhallen, Läden, Kinos. Es war alles leer!“ erzählt die Künstlerin und Mitbegründerin der Loveparade Danielle DePicciotto über die Zeit, als sie aus der gemeinsamen Wohnung mit „Motte“ vom Fenster aus beobachten konnte, wie jeden Tag mehr Trabis nach Westberlin einfuhren. „Es war so, als ob man plötzlich 300 leere Clubs hatte, wo man Sachen umsonst machen konnte. Das war unglaublich. Und alles ohne Geld!“
Menschen zogen ein, wo es ihnen gefiel, schmissen Partys, wo Platz war, machten Kunst ohne Brotjobs. Wohl auch, weil diese Freiheit von außen zerschlagen wurde, bevor sie von innen Risse bekam, lässt sich heute so wehmütig daran zurückdenken.
Die Sehnsucht nach dem Aufschwung
Der Knüppel kam im November 1990 mit der Räumung der besetzten Mainzer Straße durch über 3000 Polizisten. „Nach dem Sommer der Regellosigkeit war das die Machtdemonstration: Der westdeutsche Staat, der kommt zur Not mit Panzern“ beschreibt der Sozialwissenschaftler Andrej Holm die damalige Ernüchterung. Er selbst lebte zu dieser Zeit in einem besetzten Haus in Prenzlauer Berg. „Für mich und viele andere aus dem Osten war das die erste Demokratieerfahrung. Das sollte jetzt die große Freiheit sein, die sie uns versprochen hatten?“ Zu sehen sind Bilder von Besetzern mit Platzwunden am Kopf.
Florian Opitz hat sich mit Filmen wie „Der große Ausverkauf“ (2007), „System Error“ (2018) oder „Ganz oben – Die diskrete Welt der Superreichen“ (2019) als kapitalismuskritischer Dokumentarist etabliert. Umso erstaunlicher ist die Liste seiner Gesprächspartner, die er für „Capital B – Wem gehört Berlin?“ akquiriert hat. Neben Renate Künast, Kool Savas, Peter Fox, dem Aktivisten Sandy Kaltenborn, der Integrationsbeauftragten von Neukölln Güner Balcı und dem Tresor-Mitgründer Johnnie Stieler teilen die auch kontroversen Player der vergangenen drei Jahrzehnte Hauptstadtgeschichte ihre Sicht auf die prägenden Entwicklungen der Zeit mit.
Opitz lässt den Mercedes-Stern rotieren, während Eberhard Diepgen seine Nachwende-Vision für Berlin im Interview rekapituliert. Er habe von einer europäischen Metropole geträumt; wie das „im einzelnen“ aussehen sollte, habe er sich damals auf einem Bierdeckel notiert. An die Umsetzung machte sich der CDU-Mann bekanntlich, nachdem die rot-grüne Regierung am Streit um den Einsatz in der Mainzer Straße zerbrochen war und er die Berliner überzeugen konnte, sich mit einem Kreuz für ihn als Regierenden Bürgermeister „freizuwählen“ für den wirtschaftlichen Aufschwung.
Der Aufschwung kam, zumindest gefühlt, wie Opitz unter anderem Isa Gräfin von Hardenberg erzählen lässt, die in den 90er Jahren als „erfolgreichste Eventmanagerin Deutschlands“ galt. Ihr Mann, den sein Posten im Vorstand der Berliner Bank in die Stadt brachte, erinnert sich auch über 30 Jahre später noch mit Bestürzung daran, dass man damals in der Hauptstadt ja gar keine Oberschicht mehr vorgefunden habe: „Wir haben dann gesucht: Wo fand überhaupt noch Gesellschaft statt?“
Mit Schuldgefühlen hält sich niemand auf
Wie „die Gesellschaft“ dann kam, mit den großen Firmen und Investoren, auch angelockt durch die berühmten „Rundum-Sorglos-Garantien“ der landeseigenen Bankengesellschaft, davon erzählen in den Episoden „Größenwahn“ und „Absturz“ sowohl Diepgen als auch der CDU-Politiker und Banker Klaus-Rüdiger Landowksy als Schlüsselfiguren im Berliner Bankenskandal, der den Steuerzahlern einen milliardenhohen Schuldenberg bescherte. Die Trümmer zusammenkehren sollte anschließend Klaus Wowereit (Landowsky: „So ein Joke-Typ wie Dieter Bohlen“) mit Thilo Sarrazin als Finanzsenator im Schlepptau – ein Duo, das unter dem Motto „Sparen, bis es quietscht“ weiteren, ganz eigenen Schaden anrichtete.
Reue ist in den Interviews niemandem anzumerken. Risiken gebe es nun mal im Leben, erklären Diepgen und Landowsky. „Den Herren war es offensichtlich wichtig, ihre Version der Geschichte erzählen zu können, was sie mehr oder weniger selbstkritisch dann auch getan haben“, erklärt Regisseur Florian Opitz im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Die meisten sahen ihre politische Laufbahn immer noch als überwiegenden Erfolg, weswegen sie auch kein Problem damit hatten, ein Interview für die Serie zu geben.“
Opitz reiht zwar eine Katastrophe an die nächste (Bürogebäude bis zum Spreeufer), dennoch lässt er die Zuschauer nach der letzten Folge „Stadt als Beute“ über den Immobilienboom nach der globalen Finanzkrise mehr kämpferisch als niedergeschlagen zurück. Weil er immer wieder auch die Wehrhaftigkeit der Berliner ins Zentrum rückt, die erfolgreichen Volksentscheide, Nachbarschaftsbündnisse und Kulturschaffenden, die der Stadt ihr „sexy“ Image verschafften, das sich anschließend gut verkaufen ließ, häufig zum Nachteil seiner Erfinder.
Zurück in die Neunziger
Der Regisseur sieht Berlin nach dem Boom erneut an einem Wendepunkt. „Millionen Quadratmeter Bürofläche sind in Berlin mit billigem Geld aus der ganzen Welt gebaut worden. Aber wer braucht die noch? Was wir in den nächsten Jahren vor allem sehen werden, sind wie in den Neunzigern große Pleiten von Immobilienentwicklern, ein gigantischer Leerstand an Büroimmobilien und Ladenflächen und ein weiterhin sehr hoher Bedarf an bezahlbaren Wohnungen.“
Das sei eine riesige Aufgabe für die Politik, die viel zu lange Investoren wie René Benko und seiner Signa-Gruppe auf den Leim gegangen sei und ihnen den roten Teppich ausgerollt habe. „Dabei bringt diese Art von spekulativen Investitionen den Bürgern und der Stadt nichts. Wie Frau Giffey so schön in Bezug auf die Enteignungsdebatte, also in einem anderen Zusammenhang gesagt hat: Das baut keine einzige bezahlbare Wohnung.“
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Die Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ wird voraussichtlich kommende Woche ihren Plan für einen neuen Volksentscheid bekannt geben, es bleibt spannend in der Stadt. Die Frage, wem diese denn nun gehört, kann freilich auch „Capital B“ nicht beantworten. Ihre Dringlichkeit kann die Serie dagegen sehr wohl vermitteln.