Zum Tod des Wagner-Tenors Stephen Gould: Der Unverwüstliche
Er galt als der „Iron Man“ der Bayreuther Festspiele, als Konditionswunder und Tenornaturgewalt, als absolut zuverlässig. Ein kostbares Pfund in der Opernwelt: Wegen seiner verlässlichen Stimme und souveränen Rollengestaltung war Stephen Gould in Bayreuth und den großen Opernhäusern der Welt gefragt und begehrt. Nun ist der Sänger gestorben, am Dienstag, im Alter von 61 Jahren. „Wir sind fassungslos und in tiefer Trauer. Unsere Gedanken sind mit seiner Familie und seinen Freunden“, teilte seine Agentur mit.
Erst vor wenigen Wochen hatte der US-amerikanische Heldentenor den Abschied von seiner Karriere und in bewegenden Worten auf seiner Webseite auch seine schwere Krebserkrankung öffentlich gemacht. Es gebe keine Chance auf Heilung, teilte er dort mit. Zuvor hatte er im Sommer alle drei Engagements für die diesjährige Bayreuther Saison absagen müssen, als Tristan, als Tannhäuser und als Siegfried im „Ring des Nibelungen“ in der aktuellen Inszenierung von Valentin Schwarz. Im Vorjahr war er noch mehrfach bei den Festspielen präsent gewesen.
Mit seinem dunkel timbrierten Tenor hatte er vor allem in der Titelpartie von „Tristan und Isolde“ auf dem Grünen Hügel von sich reden gemacht. Seine balsamische Stimme, die hohe Textverständlichkeit und Intonationssicherheit machten ihn zum Publikumsliebling. Zumal er 2022 auch beim ersten Open-Air-Liederabend der Festspiele bejubelt wurde, nach Wagner-Arien und dem Léhar-Lied „Dein ist mein ganzes Herz“.
Die Bayreuther Festspiele betonten in einem auf der Festival-Webseite veröffentlichten Nachruf, Gould werde für immer Teil der Festspielfamilie bleiben: „Mit ihm verlieren die Bayreuther Festspiele und die gesamte Opernwelt einen herausragenden Sänger, Darsteller, Pädagogen, Freund und geschätzten Kollegen.“ Seine bemerkenswerte Kondition, unbändige Neugierde und höchste Professionalität, auch im Umgang mit Kolleginnen und Kollegen, hätten ihn ausgezeichnet. Nicht zuletzt für seine Feundlichkeit wurde Gould hoch geschätzt.
Erstmals war er 2004 in Bayreuth aufgetreten, bis 2022 habe er dort nahezu 100 Vorstellungen gesungen, so die Festivalleitung. Seine Haupt-Rollen waren hier von Anfang an Tristan, Tannhäuser und Siegfried. Erstmals hatte er den Tristan 2015 gesungen, in der Inszenierung von Festspielchefin Katharina Wagner und unter dem Dirigat von Christian Thielemann. Auch in der Tristan-Kinderoper trat er 2021 dort mit sichtlichem Vergnügen auf.
Begonnen hatte Gould seine Karriere als Bariton und Musicalsänger, unter anderem sang er bei 3000 Aufführungen von Andrew Lloyd Webbers Musical „Phantom der Oper“. Im Sender BR Klassik bezeichnete er sich selbst als Langstreckenläufer, ein Sprinter sei er eher nicht. Zu seinen Wagner-Interpretationen meinte er: „Es ist schade, dass in unserer Welt mit Tik-Tok alles in kürzester Zeit passieren muss. Wagner ist keine Oper, ist kein Entertainment. Es ist eine Meditation, ein Mantra.“
1962 in Roanoke, Virginia, geboren, studierte der Sohn einer Konzertpianistin und eines Pfarrers in Boston und avancierte zunächst für acht Jahre in Musicals. Sein Operndebüt gab er als Florestan in Beethovens „Fidelio“. Bald wurde er zu einem der wichtigsten Heldentenöre vor allem im deutschen Fach, unter anderem war er als Lohengrin und Parsifal, als Kaiser in „Die Frau ohne Schatten“, als Bacchus in „Ariadne auf Naxos“ und als Verdis Otello zu hören. Er lebte in den USA und in Wien, 2015 wurde ihm der Ehrentitel „Österreichischer Kammersänger“ verliehen.
„Wagner hat mich gefunden. Sehr spät!“, sagte der großgewachsene Mann, der fließend Deutsch sprach, 2019 dem Online-Magazin „Van.“ Zeitlebens war Stephen Gould für seine Robustheit berühmt, noch die schwersten Partien meisterte er scheinbar mühelos. Gegen die Krankheit konnte der Unverwüstliche am Ende nichts mehr ausrichten. (mit dpa)