Petition „Genuggeschwiegen“: Solidarität mit der Schauspielerin Merve Aksoy

Die französische Filmindustrie erlebt in diesen Wochen, fast sieben Jahre nach den Weinstein-Enthüllungen, so etwas wie eine erste, ernsthafte MeToo-Bewegung, die auch die Öffentlichkeit beschäftigt. Nach den jüngsten Vergewaltigungsvorwürfen der Schauspielerin Judith Godrèche gegen ihren ehemaligen Partner, den Regisseur Benoît Jacquot, mit dem sie als 14-Jährige eine langjährige Beziehung hatte.

Nach den neuerlichen Eskapaden von Gerade Depardieu und weiteren Vorwürfen gegen den Regisseur Roman Polanski, der in Frankreich seit seiner Flucht 1978 vor den amerikanischen Behörden Unterschlupf findet, scheint das Maß des Erträglichen auch im libertären Frankreich erreicht zu sein.

In Deutschland gärt die MeToo-Debatte noch

In Deutschland gärt die Debatte um Machtmissbrauch am Filmset, der oft nahtlos in sexuelle Übergriffigkeit übergeht, schon länger; es geht aber auch immer um den Schutz von Crew-Mitgliedern, die in den Strukturen der Industrie keine Chance haben, sich zu wehren. Nastassja Kinski kämpft seit Jahren dafür, dass der NDR die „Tatort“-Episode „Reifezeugnis“ von 1977, in der sie als 15-Jährige als halbnackte Lolita inszeniert wurde, nicht mehr ausstrahlt.

Sie habe sich schon damals vor der Kamera unwohl gefühlt, erzählt sie heute. Dass es aber nicht nur eine Modeerscheinung der 1970er Jahre war, eine junge Frau schutzlos dem Publikum auszuliefern, zeigt sich auch daran, dass der öffentlich-rechtliche Sender sich noch bis vor kurzem weigerte, dem Wunsch der heute 63-Jährigen nachzukommen, den Film aus dem Programm zu nehmen.

Seit einer Woche kursiert nun unter dem Hashtag #genuggeschwiegen ein offener Brief, der Kulturstaatsministerin Claudia Roth auffordert, ihren Worten aus dem vergangenen Jahr endlich Taten folgen zu lassen. Roth hatte im Mai nach der öffentlichkeitswirksamen Causa Til Schweiger eine „lückenlose Aufklärung“ gefordert: „Die Zeiten patriarchalischer Macker sollten wirklich vorbei sein.“

Im aktuellen Referentenentwurf für die Filmfördernovelle wird viel von Diversität gesprochen, aber immer noch gibt es keinen verbindlichen Code of Conduct. Der ist für den Sommer 2024 angekündigt, allerdings noch als „freiwillige Selbstverpflichtung“. Konsequenzen für Täter am Filmset hätte er nicht.

Merve Aksoy klagt vor dem Berliner Arbeitsgericht aktuell gegen den Regisseur Engin Kundağ wegen Machtmissbrauch am Set.
Merve Aksoy klagt vor dem Berliner Arbeitsgericht aktuell gegen den Regisseur Engin Kundağ wegen Machtmissbrauch am Set.

© imago images/Photopress Müller

Aktueller Aufhänger des offenen Briefes ist der Prozess der Schauspielerin Merve Aksoy vor dem Berliner Arbeitsgericht gegen den Regisseur Engin Kundağ. Juristisch geht es um einen Vertragsbruch, für die Schauspielerin steht allerdings viel mehr auf dem Spiel. Die heute 30-Jährige wirft dem Regisseur vor, gegen ihre mündliche Vereinbarung Nacktaufnahmen von ihr, zu denen sie gedrängt worden sei, im Film benutzt zu haben. Die Schauspielerin habe diesen Übergriff erst geschockt realisiert, als sie „Ararat“ im Februar 2023 auf der Berlinale gesehen habe. In einer längeren Szene masturbiert die von Aksoy gespielte Zeynep, in einer anderen wird sie vergewaltigt.

Inzwischen haben fast 20.000 Menschen den offenen Brief #genuggeschwiegen auf der Plattform Change.org unterzeichnet. Und Aksoy steht mit ihren jüngsten Vorwürfen gegenüber gewissen Strukturen in der Filmbranche, in denen besonders Frauen zu wenig geschützt werden, bei weitem nicht allein da.

Die aktuell in der ARD-Mediathek verfügbare Dokumentation „Gegen das Schweigen – Machtmissbrauch bei Theater und Film“ von Kira Gantner und Zita Zengerling (produziert ausgerechnet vom NDR), für die die Macher mit 200 Personen aus der Theater- und Filmbranche gesprochen haben, macht deutlich, dass Fälle wie Dieter Wedel oder Til Schweiger nur die Spitze des Eisbergs sind. Die Komplizenschaft bei der Vertuschung von Missbrauch jeder Art, so der Aufruf #genuggeschwiegen, reiche bis in die Produktionsfirmen.

Laut einem „Stern“-Artikel im Februar, der die Geschichte Aksoys öffentlich machte, haben auch andere Schauspielerin am Set von Kundağ ähnliche Erfahrungen gemacht. Trotzdem dreht er weiter Filme, auch mit staatlicher Förderung. „Ararat“ erhielt eine Förderung von 350.000 Euro, Arte und der Saarländische Rundfunk fungierten als Ko-Produzenten.

Genau hier, beim Geld, müsste ein Verhaltenskodex ansetzen; an diesem Punkt dürfen die Konsequenzen aber nicht enden. Solange die Angst zu sprechen vorherrscht, wird sich nichts ändern. Merve Aksoy hat sich entschieden zu reden. Der nächste Anhörungstermin vor dem Arbeitsgericht Berlin ist am 19. Juni.