Schumachers Skiunfall vor zehn Jahren : „Mehr Pech kann man im Leben nicht haben“
Es hätte auch ans Meer gehen können mit viel Sonne und Strand. Der Schnee sei nicht optimal, hatte Michael Schumacher vor dem anstehenden Winterurlaub in Méribel vor zehn Jahren seiner Frau Corinna gesagt. Schumacher, ein Perfektionist eben. „Wir könnten ja nach Dubai fliegen und dann gehen wir da springen“, hatte der leidenschaftliche Fallschirmspringer vorgeschlagen.
Sie entschieden sich für Berge und Schnee, fürs Skifahren in den französischen Alpen. Der Urlaub über Weihnachten, Silvester und auch noch der Geburtstag von Michael Schumacher am 3. Januar sollte der letzte dieser Art sein. Seit dem Unfall am 29. Dezember 2013 in Méribel führen der bald 55 Jahre alte Formel-1-Rekordweltmeister und seine Familie ein anderes Leben.
Um kurz nach elf Uhr an einem Sonntagmorgen passiert es. „Michael ist bei einem privaten Skitrip in den französischen Alpen auf den Kopf gestürzt. Er wurde ins Krankenhaus gebracht und wird medizinisch professionell versorgt“, teilt seine Sprecherin Sabine Kehm etwas später mit. Die Dramatik wird aus diesen Worten nicht klar. Es sind Stunden, in denen es bereits um Leben und Tod für den zweifachen Familienvater geht.
Noch dort, wo Schumacher bei einem Schwung am Rand einer markierten Piste gegen einen Stein stößt und ausgehebelt wird, versorgen ihn die Bergretter. Er ist ansprechbar, aber verwirrt. Der Helm, den er trägt, geht bei dem Aufprall kaputt. Fremdverschulden wird die ermittelnde Staatsanwaltschaft später ausschließen können. Er war auch nicht schnell unterwegs.
Schumacher wird notoperiert
Ein Rettungshubschrauber bringt Michael Schumacher ins Krankenhaus von Moûtiers. Die Kopfverletzungen sind aber zu schwer, es geht direkt weiter in die Universitätsklinik von Grenoble. Vergangen sind rund anderthalb Stunden. Schumacher wird umgehend notoperiert.
Auch die Öffentlichkeit erfährt bald von dem Unfall. „Michael war damals der vielleicht bekannteste Bundesbürger, und mein erster Gedanke war, dass dieser enorme Bekanntheitsgrad Ursache für die prominente Meldung war und nicht die Schwere des Unfalls“, sagte Norbert Haug, der Michael Schumacher seit vielen Jahren kennt.
Haug war der Mercedes-Motorsportchef, als der siebenmalige Champion für die Silberpfeile 2010 in die Formel 1 zurückkehrte. Es war ein weltweit aufsehenerregendes Comeback, nachdem Schumacher von 1991 bis 2006 die Motorsport-Königsklasse sportlich, aber auch im Kampf um mehr Sicherheit geprägt hatte. Das schreckliche Imola-Wochenende mit dem Tod von Roland Ratzenberger und Ayrton Senna 1994 hatte Schumacher in den ersten Jahren seiner Karriere emotional mitgenommen.
Welle der Anteilnahme bricht los
Wie schwer die Verletzungen Schumachers durch den Skiunfall sind, lässt sich an diesem 29. Dezember 2013 zunächst nur erahnen. Neben seiner Familie treffen unter anderem auch Schumachers langjährige Wegbegleiter Jean Todt und Ross Brawn in Grenoble ein, wo sich auch immer mehr Medienvertreter postieren.
„Werd bitte schnell wieder gesund“, postet der damalige Fußball-Nationalspieler Lukas Podolski in sozialen Netzwerken. „Meine Gedanken sind bei Schumi“, schreibt der ehemalige Basketballstar Dirk Nowitzki.
Eine Welle der Anteilnahme am Schicksal des bis dahin mit Abstand erfolgreichsten Formel-1-Piloten bricht los. Kumpel Sebastian Vettel schickt noch eine SMS: „Hab gehört, du bist gestürzt, hoffe, es ist nichts Schlimmeres, gute Besserung“, erzählt Vettel später.
Schumacher schwebt in Lebensgefahr
Aber Schumachers Zustand ist kritisch. Festgestellt wird ein „Kopftrauma mit Koma“, wie die behandelnden Mediziner am späten Sonntagabend erklären. Schwere Unfälle in der Formel 1 und auch auf dem Motorrad hat Schumacher oft glimpflich überstanden. 24 Stunden nach seinem Ski-Unfall wird traurige Gewissheit, wie schlecht es um den Rheinländer steht.
Sein Zustand sei weiterhin „außerordentlich ernst“, erklären die Ärzte in einer Pressekonferenz am 30. Dezember 2013. Schumacher schwebt in Lebensgefahr. Er hat weitverbreitete Verletzungen im Gehirn. „Wir sind beunruhigt über seinen Zustand“, sagt ein Mediziner. Prognosen zu den Überlebenschancen geben die Ärzte nicht ab.
„Wie Millionen von Deutschen waren auch die Bundeskanzlerin und die Mitglieder der Bundesregierung außerordentlich bestürzt, als sie von Michael Schumachers schwerem Skiunfall erfahren haben“, sagt Regierungssprecher Steffen Seibert am selben Tag in Berlin.
Verkleidete Journalisten kämpfen um Informationen
Und das Bangen geht lange weiter. Ende Januar erst erklärt Schumachers Managerin, dass die Narkosemittel seit Kurzem reduziert werden, „um ihn in einen Aufwachprozess zu überführen, der sehr lange dauern kann“. Anfang April 2014 teilt sie mit: „Michael macht Fortschritte auf seinem Weg. Er zeigt Momente des Bewusstseins und des Erwachens.“
Mitte Juni lässt Kehm wissen: „Michael hat das CHU Grenoble verlassen, um seine lange Phase der Rehabilitation fortzusetzen. Er ist nicht mehr im Koma.“ Wie es Michael Schumacher seitdem geht, ist nicht bekannt. Versuche, ihm nahezukommen oder anderweitig Informationen über seinen Zustand zu bekommen, gab es. Vor allem in der Anfangsphase. Ein Journalist, der sich als Priester verkleidet und auf Schumachers Zimmer im Krankenhaus will, ist nur ein Beispiel.
„Der Kampf um Reichweite durch die erst beginnende Aufmerksamkeitssteigerung des Internets und der sozialen Netzwerke ist sicherlich ein Faktor, der damals zu solchen Exzessen geführt hat“, sagt Thomas Horky, Professor für Journalismus und Sportkommunikation an der Macromedia Hochschule.
Schumachers Befinden bleibt ein Rätsel
Im August 2014 wird ein hochrangiger Mitarbeiter der Schweizerischen Rettungsflugwacht (Rega) festgenommen. Die Ermittlungsbehörde haben gegen ihn ein Strafverfahren wegen Verletzung des Berufsgeheimnisses eröffnet. Teile von Michael Schumachers Krankenakte sind zuvor verschiedenen Medien angeboten worden.
Der Rega-Mitarbeiter wird einen Tag nach seiner Festnahme erhängt in seiner Zelle aufgefunden. Dritteinwirkung schließt die Staatsanwaltschaft aus.
Michael Schumachers Befinden bleibt ein Rätsel – und diese Tatsache ein Phänomen. „Es ging immer darum, Privates zu schützen“, erklärt der Medienanwalt der Familie Schumacher, Felix Damm, im Oktober in einem Interview dem „Legal Tribune Online“.
„Jeder vermisst Michael“
„Michael hat uns immer beschützt, jetzt beschützen wir Michael“, sagt Schumachers Ehefrau Corinna in einer Dokumentation, die seit 2021 bei Netflix zu sehen ist. Darin gibt die Familie mit Corinna, Mick und dessen Schwester Gina zum ersten Mal auch Einblicke in das Zusammenleben nach dem Unfall.
„Wir leben zu Hause zusammen, wir therapieren, wir machen alles, damit es Michael besser geht und gut geht und dass er unseren Familienzusammenhalt auch einfach spürt“, sagt Corinna Schumacher.
„Es ist ganz klar, dass Michael mir jeden Tag fehlt, und nicht nur mir, die Kinder, die Familie, sein Vater, alle, die um ihn herum sind. Jeder vermisst Michael. Aber Michael ist ja da, anders, aber er ist da, und das gibt uns allen Kraft.“ Dem lieben Gott jedenfalls habe sie nie „einen Vorwurf gemacht, warum das jetzt passiert ist“, sagt Corinna Schumacher. Ihre Stimme stockt. „Es war einfach richtig Pech. Mehr Pech kann man im Leben nicht haben.“