Neuer Film mit Isabelle Huppert: Der Unschuld flicht die Nachwelt keine Kränze
Den Namen kann man sich auf der Zunge zergehen lassen: Odette Chaumette. So heißt Isabelle Huppert in François Ozons neuem Film. Und entsprechend Dragqueen-mäßig rauscht der exaltierte, in der Tonfilmzeit halb vergessene Stummfilmstar – Norma Desmond aus „Sunset Boulevard“ in lustig – irgendwann herein, um den ohnehin quirligen Plot von „Mein fabelhaftes Verbrechen“ noch einmal kräftig aufzumischen.
Spitze Zunge, Eilzug-Sprechtempo, aufgebauschtes Belle-Epoque-Outfit: Hupperts rotgelockte Odette im Paris des Jahres 1934 ist noch witziger als ihr Blaustrumpf namens Augustine in Ozons „8 Frauen“ aus dem Jahr 2002.
Mit „Mon Crime“, so der Originaltitel, begibt sich Ozon, der raffinierteste Eklektiker des Gegenwartskinos, in den reißenden Strudel der Screwball-Comedy – um triumphal Oberwasser zu behalten. Man wundert sich ja kaum noch über Ozons Talent, jedes denkbare Genre zwischen Tatsachendrama und Farce bedienen zu können. Dennoch staunt man jetzt, wie schlüssig und perfekt getimet der Regisseur zig Versatzstücke und Zitate aus dem Kino (und dem französischen Theater) der 1930er zu einem spritzigen Komödiencocktail verblendet.
Der Cast ist bis in die kleinsten Rollen aus formidablen Kräften der französischen Schauspiel-Equipe besetzt: Huppert, Dany Boon, Fabrice Luchini, André Dussolier und Myriam Boyer spielen einander mit Verve die Bälle zu. Der Nachwuchs – Nadia Tereszkiewicz, Rebecca Marder, Édouard Sulpice, Félix Lefebvre – hält souverän dagegen.
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„Mein fabelhaftes Verbrechen“ ist die Neuverfilmung des französischen Stücks „Mon Crime“ von 1934, dessen erste Kinoadaption „True Confession“ („Ein Mordsschwindel“, USA 1937) mit Carole Lombard auf der 2022er-Berlinale-Retrospektive „No Angels“ zu sehen war. Zufall oder nicht, eben jenes Festival eröffnete Ozon mit seinem queeren Fassbinder-Remake „Peter von Kant“. In seinem neuen Film verlegt der Regisseur, der auch das Drehbuch schrieb, den Schauplatz von New York ins Paris der 1930er Jahre zurück und verwandelt die eher misogyne Ursprungsgeschichte in eine Erfolgsstory weiblicher Selbstermächtigung.
Im Mittelpunkt stehen zwei junge Freundinnen, die sich schwesterlich eine Mansarde teilen und notorisch mit der Miete im Rückstand sind. Madeleine (Nadia Tereszkiewicz), die erfolglose Schauspielerin, gerät in den Verdacht, einen berühmten Theaterproduzenten erschossen zu haben. Immerhin ist ihre Mitbewohnerin Pauline (Rebecca Marder) Anwältin und ebenso ohne Beschäftigung, sodass sie Madeleine nach Kräften gegenüber den Behörden unterstützen kann.
Herrlich überfordert Fabrice Luchini als Untersuchungsrichter Rabusset: Als Urheber von Justizirrtümern berüchtigt, steuert der Beamte auf das nächste juristische Fettnäpfchen zu, indem er Madeleine zum Geständnis drängt. Sie besitzt eine Pistole, dessen Kaliber zur Tatwaffe passt.
Misslich auch, dass Madeleine ein Motiv hat: Monsieur le producteur wollte sie vergewaltigen (Harvey Weinstein lässt aus dem Vollzug in L.A. grüßen.) Die tatsächliche Schuld der Aktrice erscheint umso unwahrscheinlicher, je mehr Tatversionen Regisseur Ozon als Film-im-Film liefert, in denen stets Madeleine auf den Abzug drückt. Aus dem Opfer wird eine Täterin – im Kopfkino der männlich besetzten Juristerei. Dass Madeleine ihre Unschuld beteuert und dann plötzlich gesteht, ist eine unbegreifliche Volte, die von Ernst Lubitsch stammen könnte. Irgendwann dämmert’s: Advokatin Pauline kann vor Gericht nun auf Notwehr plädieren. Es wird ein veritabler Schauprozess im Theater-, pardon, Gerichtssaal.
Ein irrwitziger Showdown zwischen den Geschlechtern, zu denkbar unfairen Bedingungen. In der Jury sitzen nur alte Männer. Der Staatsanwalt (köstlich paranoid: Michel Fau) fordert für Madeleine die Todesstrafe, um Rachegelüste weiterer Frauen (auch der eigenen Gattin) gegen ihre männlichen Unterdrücker im Keim zu ersticken. Vergeblich. Pauline verteidigt Madeleine erfolgreich, die Angeklagte wird wegen Notwehr freigesprochen. Dem Sensationsprozess folgt eine Art Madeleine-Effekt, gemäß dem Ausruf der Concierge der Freundinnen nach der Urteilsverkündung: „Dann hätte ich meinen Mann ja längst umbringen können“.
Ozon treibt die Story an einen Kipppunkt, in dem die Frauen kurz davor sind, die Männer zu Freiwild zu erklären. Eine satirische Überspitzung, klar, aber ist es Frauen in vielen Gesellschaften (teilweise bis heute) nicht ähnlich ergangen? Kühn konstruiert Ozon den „Mon Crime“-Stoff zur Empowerment-Komödie im historischen Gewand um.
Zugleich blickt er aber auch auf die historische Situation der frühen 1930er in Frankreich, auf das patriarchalische Klima der Zwischenkriegszeit, auf die Übermacht der Männer und die zu Sexualobjekten degradierten Frauen. Und er geht noch weiter – bis zu dem Gedankenspiel, dass Hitler hätte gestoppt werden können, wenn es das Frauenwahlrecht (in Frankreich) vor 1944 gegeben hätte.
Mit den MeToo-Sympathien (die Ozon grundsätzlich hat) ist es kompliziert. Nach dem Prozess kann sich Pauline vor Mandantinnen kaum retten – und Madeleine bekommt die verlockendsten Rollenangebote. Die Freundinnen werden märchenhaft reich und berühmt, nach der verdrehten Logik des Films allerdings, nun ja, unverdient. Auftritt Odette Chaumette alias Isabelle Huppert, die Madeleine nun vorwirft, ihr das Verbrechen geklaut zu haben. Die Jüngere habe profitiert, Odette aber verliere ihre Chance auf eine Spätkarriere. Das Allgemeinwohl rückt in den Hintergrund, plötzlich geht es nur noch um persönliche Gewinne oder Verluste. Frei nach Friedrich Schiller weiß Odette: Der Unschuld flicht die Nachwelt keine Kränze.
Noch besteht die Chance, dass die altersdiskriminierte Diva und das jugendliche Dream-Team sich zusammenraufen und solidarisieren. Gib Sexismus keine Chance; aber Karrieresucht, die über reale und sprichwörtliche Leichen geht? Bitte auch das nicht. Am Ende triumphieren jedenfalls Ozons Esprit und Humor, gesponsert von Lubitsch, Howard Hawks, Billy Wilder. Im Kino gewesen. Gelacht.