„Princess“ im Berliner Grips Theater: Der krasse Typ trägt Rock
„Männer sollen irgendwie auch Männer bleiben!“. Das hat vor einiger Zeit mal die lustige Moderatorin Barbara Schöneberger verkündet, verbunden mit der Bitte, dass die Kerle doch bitte auf Make-up verzichten mögen. Die Folge war ein Shitstorm mittleren Ausmaßes. Woraufhin Schöneberger zurückruderte und klarzustellen versuchte, sie habe ja nicht die Jungs gemeint, die sich regelmäßig schminkten und über das Bunte ihre Individualität ausdrücken wollten – sondern eher diejenigen, die sie früher gedatet habe. Die waren nämlich nicht geschminkt. Na dann!
Am Grips Theater ist jetzt ein Stück zur Premiere gekommen, in dem – gar nicht so weit von solchen Twitter-Fights entfernt – zur Verhandlung steht, was eigentlich ein typischer Junge ist. Denn ganz so easy lässt sich das, allen Diskursen über Genderfluidity zum Trotz, auch heute nicht beantworten. Spielt er Fußball, rauft und rülpst er, dieser kleine Draufgänger? Oder lackiert er sich die Nägel und trägt Lippenstift?
Der Autor und Regisseur Karsten Dahlem ist in der Kita seines Sohnes mit solchen heiklen Zuschreibungsfragen in Berührung gekommen – als nämlich der beste Freund des Sprösslings beim Kinderfasching als Prinzessin ging. Was dessen Vater – Toleranz hin, liberale Attitüde her – doch in gewisse Nöte stürzte: Ist so etwas normal?
Dahlems Stück „Princess“ – das auf seinem gleichnamigen, preisgekrönten Kurzfilm basiert – erzählt nun von Ole (Daniel Pohlen), der ein krasser Typ und auf dem Schulhof Anführer einer Gangster-Gang ist. Der Mr. Dynamite, der Tonangeber, der Boss, der Schwächere drangsaliert und findet, dass „Rumheulen Mädchenkacke“ sei.
So sehen es auch seine Buddys, genannt Ratte (Eike N.A. Onyambu) und Schnecke (charmanterweise gespielt vom Grips-Recken René Schubert, weswegen es über ihn heißt, er sei „ein paar Mal sitzen geblieben“). Ole und seiner Gang geht man besser aus dem Weg – was allerdings Luzie, genannt Lu, nicht weiß (Berit Vander). Die kommt neu in die Klasse. Und stellt die Verhältnisse auf den Kopf.
Beziehungsweise: Lu entdeckt, dass Ole nicht nur der Mobber ist, der sie vor seiner versammelten Gang zum Regenwurmverzehr zwingt. Sondern, dass es noch einen anderen Ole gibt. Einen, der gern ein Prinzessinnenkleid nebst Lippenstift trägt und gefühlsbetonte Popsongs singt: „I’m afraid you can see who I really am…“.
Mit dem Handyvideo, das Lu von dieser heimlichen Soloshow aufnimmt, hat sie Großmaul Ole in der Hand. Aber einfach den Schikane-Spieß umzudrehen, wäre zu billig. Und auch Grips-pädagogisch zweifelhaft. Weswegen Karsten Dahlem, der sein Stück am Hansaplatz selbst inszeniert, die Geschichte in Richtung eines höchst empowernden Talentwettbewerb-Finales an der Schule führt. Bei dem wird es darum gehen, zu sich selbst zu stehen.
Man kann „Princess“ jedenfalls nicht vorwerfen, offene Türen einzurennen. Die Rollenklischees existieren ja fort. Selbst ein Kurt Krömer hat mal davon berichtet, dass er mit lackierten Fingernägeln immer wieder hochgezogene Augenbrauen provoziert.
Dahlems Stück für Menschen ab 11 Jahren weiß um diese Bully-Welt und verpasst ihr keinen Weichzeichner. Mit einem tollen Musiker-Duo aus Katrin Mickiewicz (E-Geige) und Hans Schlotter (Drums) schafft der Autor und Regisseur eine ruppige Atmosphäre der Selbstverleugnung und der Härte („Ich mach dich Charité!“). Daraus auszubrechen, hat einen Preis.
Das weiß Ole selbst. „War doch klar, dass so was kommt. Was hast du denn erwartet?“, fragt er am Ende ins Publikum, im Look eines angeschlagenen Boxers. Aber zur eigenen Identität (auch im Plural) gibt es nun mal keine Alternative. Auf einen Vorhang auf der Grips-Bühne wird projiziert: „Jeder Mensch hat das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Egal, ob er sich schminkt, die Fingernägel lackiert oder einfach ein Kleid trägt.“