Monarchie und Gesellschaft: Das Haus Windsor schafft seinen eigenen Kult
Monarchisten betonen immer wieder, dass die Monarchie mit ihren Traditionen, Ritualen sowie der Verankerung im Glauben gesellschaftliche Stabilität garantierte. Doch es war gerade die andauernde gesellschaftliche, kulturelle und ästhetische Erneuerung, die seit dem 19. Jahrhundert die wenigen heute noch in Europa existierenden Monarchien in Norwegen, Schweden, Dänemark, den Niederlanden, Belgien, Luxemburg, Liechtenstein, Monaco oder Spanien und sogar in der Wahlmonarchie Vatikan stabilisierte.
Das ging und geht bis zum Ausschluss von gesellschaftlich inakzeptabel gewordenen Familienmitgliedern. Motivation war dabei immer, die Macht und damit den Wohlstand der „Firma“ zu sichern, wie die Windsors ihr Königshaus intern so despektierlich wie durchaus korrekt benennen.
Die phänomenale Modernisierungsfähigkeit der Windsors
Das seit den 1990er-Jahren sprichwörtliche „Erfinden von Traditionen“ hat dabei sicherlich geholfen, der massenmedial gerne aufgenommene Kult um oft neu eingeführte Prozessionen, das Zeremoniell an sich, Kutschen, Schmuckstücke und Kleidung. Doch waren diese nur Teil einer phänomenalen Modernisierungsfähigkeit.
So nahmen an der Krönung von Königin Victoria am 28. Juni 1838 in der Westminster Abbey noch ganz traditionell nur Regierungsmitglieder, die Geistlichkeit der Anglikanischen Kirche und der britische Hochadel teil – aber in diesem schon einige nun wieder offen agierende Katholiken und sogar eine Handvoll (allerdings getaufter) Juden.
Ihr Enkel George V. ließ sich 1911 in Delhi, der alten Hauptstadt der 1858 gestürzten Mogul-Kaiser, zum Kaiser von Indien krönen, um die Integrationskraft der britischen Herrschaft in dem riesigen Land zu betonen.
Elisabeth II. inszenierte sich durchaus selbstbewusst als öffentliches Gesicht des in Béton Brut gegossenen Wohlfahrtsstaats, der sich in Großbritannien nach dem Zweiten Weltkrieg gegen erhebliche Widerstände sogar aus der Arbeiterschaft entwickelte. Sie lieh ihm gesellschaftliche Legitimität mit der Einweihung und dem Besuch unzähliger öffentlicher Bauten, aber auch Wohnanlagen. Und ohne ihre Inszenierung postkolonialer Offenheit wäre der Commonwealth of Nations längst zerbrochen.
Wilhelm II. gab sich bürgerlich
Monarchien können nur in engster Tuchfühlung mit dem liberalen gesellschaftlichen Mainstream überstehen. Das lehrte der Sturz der Bourbonen in Frankreich 1789 und noch einmal 1830, der der Mandschu 1911, der Romanow 1917, der Hohenzollern und der Habsburger 1918.
Zwar spielte etwa Kaiser Wilhelm II. lange durchaus erfolgreich auf der Klaviatur der öffentlichen Meinung. Er agierte auch oft bei weitem nicht so reaktionär, wie es seine Reden vermuten ließen und seine Gegner mit großer Begeisterung behaupteten.
Aber spätestens im Ersten Weltkrieg verloren er und seine Familie den Kontakt zur breiten Gesellschaft, in der Weimarer Republik verbündete sich sein Sohn sogar mit rechtsradikalen und faschistischen Bewegungen. Auch deswegen gab es niemals eine massenhafte Restaurationsbewegung in Deutschland.
Die Windsors dagegen, genauso wie alle anderen noch „herrschenden“ Häuser Europas, haben schon lange etwa durch die Heirat mit Bürgerlichen und Nicht-Europäern ihr gesellschaftliches Fundament verbreitert; früher betont eine „Pflicht“, heute ein „Engagement“. Die Krönung von Charles III. ist ein Musterbeispiel für diese Dauermodernisierung.
Im Unterschied zu der Krönung seiner Mutter wird der christlich-mystische Aspekt bemerkenswert klein gehalten, der multireligiöse hingegen betont. Nicht mehr der Geburtsadel, sondern die Mitglieder der Mittelstands-Gesellschaft bilden das Hauptpublikum. Der Monarch ist geschieden, seine zweite Frau ebenfalls – und doch muss der Erzbischof von Canterbury ihrer Herrschaft durch die Salbung mit dem Heiligen Öl den göttlichen Beistand garantieren.
Vegetarisches Krönungsmahl
Dass dann im einstigen Roastbeef-Land Großbritannien eine vegetarische Krönungsfestspeise empfohlen wird, die Einladungskarte wie eine wilde Wiese geschmückt ist, die Familie teilweise innig verstritten ist – all das entspricht exakt den aktuellen Anforderungen und gesellschaftlichen Akzeptanzrahmen.
Einzig ein Bruch mit dieser Modernität fällt auf: Nachdem der König ganz traditionell geschworen hat, die Gesetze und Rechte seiner Bürger zu achten und zu schützen, sollen diese nunmehr ihm und seinen potentiellen Nachfolgern die Treue geloben. Das war bisher nur vom Hochadel und den Mitgliedern des Parlaments verlangt worden. Kaum zu glauben, dass diese Idee für das neue gesellschaftliche Homogenität vortäuschende Zeremoniell aus den Büros Charles III. stammt, der doch so vehement für den demokratischen Pluralismus eintritt.
Aber er kann sich kaum wehren, wenn eine um ihren Einfluss fürchtende Staatskirche und die konservative Regierung solche Ideen propagieren. Vom Hof werden wir dazu voraussichtlich nichts hören. Denn die Machtlosigkeit gehört zu den Grundgarantien des modernen Erfolgs von Monarchen – wie auch das Schweigen.