Wie die ukrainische Flagge zum Teil der Popkultur wurde
Manchmal, befand Bertolt Brecht, sind die Zeiten so finster, dass ein Gespräch über Bäume „fast ein Verbrechen“ sei. Dann verbiete sich das Schwärmen über die Schönheit der Natur, „weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt“. In solchen Zeiten leben wir nun wieder, aber trotzdem kann es ein politischer Akt sein, wenn nun massenhaft Leute in den sozialen Medien Urlaubsfotos posten.
Azurblau funkelt da das Meer über einem südlichen Strand, azurblau wölbt sich auch der Himmel über märkischem Sand. Blau und Gelb sind die Farben der ukrainischen Nationalflagge, und wer immer jetzt diese Farben auf die Timeline von Instagram oder Facebook setzt, bekundet damit seine Solidarität mit dem Land, das von Putins Truppen überfallen wurde.
Von Russlands Gnaden
Nichts symbolisiert die Souveränität eines Staates stärker als seine Fahne. In seiner inzwischen berühmt-berüchtigten Fernsehansprache begründete Wladimir Putin den Angriff unter anderem damit, dass er behauptete, die Ukraine habe nie eine Tradition eigener Staatlichkeit besessen. Vielmehr existiere sie gewissermaßen nur von Russlands Gnaden, weil sie von Lenin erschaffen, von Stalin reorganisiert und von Chruschtschow mit der Krim beschenkt worden sei. Nach dieser kruden, allem Völkerrecht widersprechenden Logik kann Russland nicht nur sein Geschenk zurückverlangen, sondern auch über die Abspaltung einzelner Gebiete wie den sogenannten „Volksrepubliken“ am Don entscheiden.
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Wie wenig Putins Geschichtsdeutung mit der historischen Wirklichkeit zu tun hat, zeigt sich in einem kleinen Grundkurs der Vexillologie, so der Fachbegriff für Flaggenkunde. Die blau-gelben Staatsfarben der Ukraine gehören zu den ältesten in Europa, sie gehen auf das Wappen des Fürstentums Galizien-Wolhynien – ein goldener Löwe im blauen Feld – aus dem 13. Jahrhundert zurück.
Verboten waren die Farben, als das heutige Staatsgebiet der Ukraine im 18. Jahrhundert an Österreich überging, verboten blieben sie, als sich die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik 1922 der UdSSR anschloss. Als Zugeständnis an die regionale Tradition erhielt ihre rote, von Hammer und Sichel bekrönte Fahne 1949 einen blauen Streifen.
Blaugelbe Kleidung als Statement
Seit sich die Ukrainer 1991 die Unabhängigkeit erkämpften, sind Blau und Gelb Farben der Freiheit. In Berlin wehte die ukrainische Fahne am Sonntag vor dem zur Sondersitzung zusammentretenden Bundestag. In Toronto, Prag oder Tokio wird sie von Demonstranten bei Anti-Kriegs-Protesten hochgereckt. In Moskau unterlaufen Fahrgäste das Demonstrationsverbot, indem sie sich mit blaugelber Kleidung in die U-Bahn setzen.
Und selbst die Simpsons solidarisieren sich fahnenschwenkend mit dem angegriffenen Land. Die gelbgesichtige, blauhaarige Mutter Marge Simpson wirkt ohnehin wie eine Ukraine-Flagge auf zwei Beinen. Marinesoldaten streichen die Fahne, wenn sie kapitulieren. Für die Ukrainer ist das keine Option.