Maodo Lo ist ein Tänzer mit Gespür für Raum und Zeit

Profisportler haben oft ein exzellentes Gespür für Raum und Zeit. Während bei der Tour de France oder im 100-Meter-Sprint oft noch das Foto-Finish bemüht wird, reißen die Sieger auch bei den engsten Entscheidungen die Arme in die Höhe. Maodo Lo verzichtete am Sonntag in Heidelberg zwar auf eine Jubelgeste, hatte bei seinem Wurf in allerletzter Sekunde aber ebenfalls keine Zweifel. „Mir war klar, dass der gut war, und das habe ich auch den Jungs gesagt“, erklärt der Spielmacher von Alba Berlin – und behielt recht.

Als er sich später die Wiederholung anschaute, fiel ihm aber doch ein kleiner Stein vom Herzen. „Das war doch knapper, als ich gedacht habe“, sagt Lo. Wie eng es wirklich war, sieht man erst in der extremen Verlangsamung. Nur Millisekunden bevor die Spielzeit abläuft, verlässt der Ball Los Finger. „Ist das der engste Gamewinner der Basketball-Geschichte?“, schrieb Alba in den Sozialen Medien.

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Dass diese Frage jemals beantwortet werden wird, ist eher unwahrscheinlich. Dass bei Alba momentan gerade Lo solch ein entscheidender Wurf gelingt, passt aber absolut ins Bild. Der 28 Jahre alte Nationalspieler ist seit Wochen in exzellenter Verfassung, punktet, dirigiert, arbeitet. „Ich bin sehr zufrieden mit ihm“, sagt Trainer Israel Gonzalez. „Besonders gegen ZSKA hat er sehr gut gespielt. Das ist der Maodo, den wir uns jeden Tag wünschen.“ Gegen die Moskauer gelangen Lo am vergangenen Freitag 26 Punkte – Karrierebestwert – und das bei einer fabelhaften Dreierquote von 86 Prozent.

Die Gründe für seine herausragende Form sind schnell gefunden. Oder besser gesagt: Die Gründe für seine über weite Strecken unterdurchschnittliche Vorsaison. Im Sommer 2020 wechselte Lo von Bayern München in seine Heimatstadt, brauchte aber mehrere Monate, bevor er spielerisch wirklich bei Alba ankam. „Das letzte Jahr war schwierig“, rekapituliert Lo.

Der komplizierte Anpassungsprozess an das deutlich freiere Berliner System wurde durch eine hartnäckige Covid-19-Erkrankung gebremst. Der Basketballer hatte zwei Wochen lang kaum die Kraft, um aus dem Bett aufzustehen, und brauchte danach lange, bis er wieder in der Form war, die man für Profisport mit einem derart engen Terminkalender benötigt. „Er hatte seine Probleme, doch am Ende der Saison hat er unsere Idee gut verstanden“, sagt Gonzalez.

Mit seiner Geschwindigkeit ist Maodo Lo kaum zu stoppen.Foto: imago images/Nordphoto

Seitdem läuft es für Lo. Schon beim Gewinn der Meisterschaft zeigte er starke Leistungen, nun ist er nach einigen Änderungen im Kader noch prägender. „Ich habe ein bisschen mehr Verantwortung und versuche trotz der vielen Spiele tagtäglich die Energie und die Konstanz zu bringen“, sagt Lo. Mit seiner enormen Schnelligkeit ist er nur schwer zu verteidigen, wirklich unangenehm wird es für den Gegner aber, wenn er beginnt, hinter der Dreierlinie unnachahmlich zu tänzeln. Mit seinem Crossover-Dribbling verschafft er sich immer wieder Platz, um aus der Distanz zu werfen oder zum Korb zu ziehen.

Gerade in der Euroleague gelingt das so gut wie nie zuvor in seiner Karriere. In vier der 16 Spiele knackte er die 20-Punkte-Marke, der Schnitt von 12,6 Zählern ist der beste seit seiner Zeit auf der Columbia University in den USA.

Statistisch durchlebt Lo also gerade die beste Phase seiner Profikarriere, doch er selbst denkt nicht in solchen Kategorien. „Mein Ziel ist immer, mich zu steigern und zu entwickeln“, sagt der Berliner. „Ich bin 28, habe aber noch gar nicht so viele Profijahre gespielt. Ich habe ganz sicher noch nicht ausgelernt.“ Diese Einstellung wird die Verantwortlichen von Alba freuen. Denn seit die spanische Trainerlegende Aito Garcia Reneses 2017 nach Berlin kam, wurde der Ergebnissport Basketball immer mehr auch als Lernprozess verstanden. Aitos Lehrling Gonzalez setzt diesen Weg nun als neuer Cheftrainer fort.

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Mit seinem Team steht für Lo die Entwicklung ebenfalls im Vordergrund, auch wenn er natürlich wie alle Berliner national die beiden Titel im Auge hat. In der Euroleague will Lo mit Alba trotz des vergleichsweise geringen Budgets und den vielen Verletzungen in der ersten Saisonhälfte „Schritte nach vorne machen“. Eine neue Chance gibt es dafür bereits am Mittwoch (20 Uhr, Magentasport), wenn die AS Monaco mit dem langjährigen Berliner Spieler und Trainer Sasa Obradovic zu Gast in der Arena am Ostbahnhof ist.

Während sich der Fußball und viele andere Sportarten bereits in der Winterpause befinden, geht es für Lo und seine Kollegen danach gnadenlos weiter. Nach dem Duell mit Monaco stehen vor dem Jahreswechsel noch drei weitere Spiele auf dem Programm. Ein bisschen Besinnlichkeit lässt sich Maodo Lo aber nicht nehmen. „Morgen gehen wir wahrscheinlich den Weihnachtsbaum kaufen und dann versuchen wir es dieses Jahr vielleicht auch mal mit der Gans.“