Gob Squad „Handle with Care“: Suppe schlürfen mit den Nachbarn
Immer schön, wenn die Nachbarn vorbeischauen. Vor allem, wenn es so viele sind. Im HAU 1 wurden sogar die Stuhlreihen herausgeschraubt, damit alle Platz finden – und damit sich niemand unwohl fühlt im Hochkultur-Ambiente eines Theatersaals. Man darf es sich an Stehtischen oder auf dem Boden gemütlich machen, auch ein Nickerchen halten, anything goes.
Die Gruppe Gob Squad möchte, dass sich ihre Gäste wirklich zu Hause fühlen. Denn wie die Performerinnen und Performer in Gesprächen herausgefunden haben, stellen sich viele unter einem Theater keinen Ort vor, wo sie willkommen sind.
Stehtisch und Nickerchen
Der Abend, der hier auf dem Programm steht, heißt „Handle with Care – Eine praktische Anleitung“. Gob Squad haben dazu Nachbarinnen und Nachbarn vom Mehringplatz eingeladen, der ja nur wenige hundert Meter vom HAU 1, 2 und 3 entfernt liegt. Hier haben Johanna Freiburg, Sean Patten, Berit Stumpf, Simon Will, Sarah Thom und Bastian Trost zuletzt viel Zeit verbracht.
In der Kiezstube zum Beispiel, wo einmal im Monat das „KiezKochen“ stattfindet, mit gerettetem Gemüse, das vielleicht nicht mehr taufrisch aussieht, aber schmeckt. Oder in der „Klinik der kaputten Dinge“, wo Leute nach dem Hilfe-zur-Selbsthilfe-Prinzip lernen können, defekte Gegenstände zu reparieren. Oder bei der „Zeitlosen Gemeinschaft“, einem Chor, der in verschiedenen Sprachen singt, Türkisch und Farsi darunter. Lauter Angebote gegen das Alleinsein.
Angebote gegen das Alleinsein
Jetzt sind all diese Menschen auf der Bühne versammelt, an einer großen U-förmigen Tafel, wo sie Stangensellerie, Karotten, Zucchini und Kartoffeln für die Suppe schneiden, die gemeinsam zubereitet wird. Es gibt Filmeinspieler vom Mehringplatz, Songs von einem 11-jährigen Rapper, der viel Zeit bei der Kreuzberger Musikalischen Aktion (KMA) verbringt, Lieder von der „Zeitlosen Gemeinschaft“, die alle in ihrer eigenen Sprache mitsingen können – zum Beispiel „Those Were the Days“, diesen Schunkelklassiker für Melancholiker – und dazwischen Erzählungen aus dem alltäglichen Leben. Von den Telefonaten mit der Mutter im Libanon. Oder der Sorge, wegen des Hidschāb für einen verschlossenen Menschen gehalten zu werden.
Das mag alles unspektakulär klingen, nach zu viel Soziokultur und zu wenig Kunst. Aber so ist es nicht. Zum einen nehmen Gob Squad das Thema ihres Abends ernst, „Handle with Care“. Es geht um Fürsorge in einer überproportional von Armut betroffenen Nachbarschaft, wo manchen zur Monatsmitte das Geld für Lebensmitteln ausgeht.
Um die Frage, was eine echte Gemeinschaft ausmacht und wie sich das Gefühl der Isolation überwinden lässt, diese Einsamkeit, die für viele schambehaftet ist. Und darum, ob am Ende des Lebens jemand für uns da sein wird, so wie es zu Beginn hoffentlich der Fall war. Existenzielle Themen, verpackt in ein mitnehmendes Beisammensein.
Zum anderen ist „Handle with Care“ kein singuläres Ereignis. Das HAU sucht schon lange den Kontakt zum Mehringplatz und findet ihn auch. Zuletzt etwa mit dem Festival „Berlin bleibt! #4“, das vor Ort stattfand.
Aber ebenso mit vielen Aktionen unterhalb der Sichtbarkeitslinie im Rahmen des Vermittlungsformats „HAU to connect“, die eben nicht darauf zielen, mehr Zuschauer ins Theater zu holen, sondern echte Begegnungen schaffen wollen. Nicht über Menschen reden – mit Menschen reden. Von diesem Spirit ist auch „Handle with Care“ beseelt. Und genau das macht diesen Abend wertvoller als vieles, was sonst im Theater zu erleben ist.