Japanische Künstlerin Tabaimo: Triumph der Dämonen

Öffentliche Toiletten sind nicht unbedingt Sehnsuchtsorte. Doch in der immersiven Video-Installation „public conVENience“ (2003) der japanischen Künstlerin Tabaimo kann man sich der suggestiven Kraft einer Bedürfnisanstalt kaum entziehen. Der mit zahlreichen Türen und Waschbecken ausgestattete perspektivisch projizierte Raum entfaltet sich vor den Betrachtenden auf drei Wänden.

Diverse weibliche Gestalten gehen irritierenden Handlungen nach. Eine nur mit einem Slip bekleidete junge Frau wäscht sich ebenso exzessiv wie ungeniert an einem Waschbecken. Eine andere gebiert durch ihr Nasenloch einen Embryo, übergibt diesen einer Schildkröte und versucht, beide mit der Klospülung aus der Welt zu schaffen. Motten und Nachtfalter schwirren durch den Raum. Was nachts in Träumen und Alpträumen Gestalt annimmt, findet hier wie auf einer öffentlichen Bühne statt.

Tabaimos dynamisch bewegte Raumzeichnungen entführen ihr Publikum in eine mysteriöse Zwischenwelt, die die heutige japanische Lebenswirklichkeit mit der Ästhetik von Manga und Anime und der jahrhundertealten Tradition des Farbholzschnitts Ukiyo-e kombiniert. Mitunter so überdreht, dass es schon wieder komisch wirkt. Besucher der 54. Venedig Biennale konnten das bereits 2011 im Japanischen Pavillon erleben. Damals zeigte Tabaimo ihre 18-Kanal-Video-Installation „teleco-soup“ in der ein Frosch zum kritischen Beobachter einer sich allmählich in Wasser auflösenden, großstädtischen Lebenswelt wird. 

Im Kopenhagener Art Center GL Strand ist jetzt unter dem Titel „Nest“ die als Retrospektive angelegte, bisher größte Einzelausstellung der 1975 geborenen Japanerin in den Nordischen Ländern zu sehen. Gezeigt werden in der von Anne Kielgast, der Chefkuratorin von GL Strand, auf zwei Etagen eines ehemaligen Patrizierhauses eingerichteten Schau vier begehbare Videoinstallationen, eine Rauminstallation mit Möbeln und Gemälden, ein Raum mit Zeichnungen und einige vor Ort entstandene Wandzeichnungen.

Verunsicherung ist Tabaimos Arbeitsprinzip, immer wieder bringt sie Vertrautes ins Wanken und schließlich zum Einsturz. So erodiert in ihrer raumfüllenden Video-Installation „dolefullhouse“ (2006) ein harmloses Setting binnen weniger Minuten zum Horrorszenario.

Ein überdimensionales Puppenhaus wird von zwei Riesenhänden liebevoll mit Möbeln und Interieur ausgestattet. Doch mit zunehmender Perfektion wird das scheinbare Idyll von einem Oktopus mit gezielten Störmanövern destabilisiert. Die Hände laufen rot an, Kratzanfälle verwandeln sie in ein neurodermitisches Trümmerfeld. Das Dämonische siegt.

Tabaimos Vorliebe für den japanischen Farbholzschnitt des 17. bis 19. Jahrhunderts mit seinen blassen Gelb-, Rot- und Blautönen ist offensichtlich. Die berühmte Welle ihres Landsmanns Hokusai (1760-1849) taucht mehrfach als Zitat auf. Gleichzeitig bedient sie sich modernster digitaler Technologien, um ihre Handzeichnungen in visuell verführerische Animationen voller Überraschungseffekte zu verwandeln. Im Zentrum stehen immer die Verletzlichkeit, die soziale Isolation und die innerliche Verwüstung ihrer meist weiblichen Protagonisten.

Man kann sich dabei an einen Magischen Realismus à la japonaise erinnert fühlen, der auch den Romanen und Erzählungen von Haruki Murakami innewohnt. Dass Tabaimo ihre komplexen Visionen nicht nur in Form animierter Bildräume, sondern auch in anderen Medien umsetzen kann, beweist sie mit Zeichnungen, auf welchen sie anatomisch genau wiedergegebene menschliche Organe mit pflanzlichen Wurzeln, Stängeln und Blüten zu hybriden Gebilden amalgamiert. Zauberhaft sehen diese Blätter aus – und ein wenig gruselig.