„Il Buco – Ein Höhlengleichnis“ im Kino: Lichtoase in der Unterwelt

Wenn die Welt dann doch mal eindringt in diesen Film, dann nicht sehr lange. Die Gesichter von Kennedy und Nixon gehen bald in Flammen auf, die Politik ist nur Mittel zum Zweck. Das brennende Papier des Zeitschriftencovers wird lediglich benötigt, um Licht ins Dunkle der Höhle zu bringen, in die Michelangelo Frammartino mit seinem neuen Film eindringt.

Botschaften aus der Aufbruchszeit der frühen 1960er Jahre

Eine weitere Funktion hat das Cover allerdings doch: Es verortet die Handlung von „Il Buco – Ein Höhlengleichnis“ in den Aufbruchszeiten der frühen 1960er Jahre, in denen eine Gruppe Höhlenforscher aus dem Norden Italiens sich ins südliche Kalabrien aufmacht, um den Abgrund von Bifurto zu erkunden, eine der bis dato tiefsten Höhlen der Welt. Frammartino rekonstruiert diese Begebenheit mit vielen Freiheiten, sein Film ist eine Art retrospektive Reportage, in der tatsächliche Speläologen, also Laiendarsteller, auf den Spuren ihrer Vorgänger wandeln.

Der Beginn des Films kehrt diese Bewegung erst mal um, die Kamera sieht aus der Höhle nach draußen, von wo aus ein paar Kühe teilnahmslos, aber doch neugierig in den Abgrund blicken. Es ist die erste von vielen schlauen, komplexen Einstellungen in „Ein Höhlengleichnis“. Wie schon Frammartinos „Vier Leben“ (2011) kommt auch sein neuer Film fast ohne Dialoge aus, lebt ganz von den reduzierten wie reichen Bildern, die meist statisch sind, aber niemals tot. Nicht zuletzt die ebenso reiche Tonspur macht sie zu lebendigen, vibrierenden Gemälden.

Die Bilder aus dem Inneren der Höhle sind nachgerade spektakulär. Mal in die Tiefe blickend, mal den Tunneln folgend konstruiert die Kamera einen dreidimensionalen Raum, staunt über die kostbaren Lichtoasen, die die Stirnlampen der Forscher der Dunkelheit abringen. Dagegen stellt Frammartino immer wieder nicht minder beeindruckende Einstellungen des kalabrischen Hinterlands und seiner tierischen wie menschlichen Bewohner. Vor allem verschaltet er per kluger Montage die Expedition in die Tiefe mit dem zu Ende gehenden Leben eines alten Hirten.

In diesem Wechselspiel zwischen dem Höhlengang und dem Treiben darüber spiegelt sich auch die spektakuläre Produktionsgeschichte des Films. Frammartino teilte seine Crew beim Dreh in zwei Teams auf, er selbst kämpfte sich täglich mehrere Stunden in die Höhle hinunter, Kameramann Renato Berta blieb oben und kommunizierte per Glasfaserkabel mit seinen Technikern. So profan die Zwänge, die ein Dreh in mehreren Hundert Metern Tiefe mit sich bringt, so erhaben kommt das Ergebnis daher.

Natürlich bietet sich ein Film, der das Höhlenmotiv derart ernst nimmt, für allerlei Assoziationen erkenntnistheoretischer Art an. Doch keine davon wird den Bildern aufoktroyiert, der Film bricht unter der allegorischen Last nicht zusammen. Auch weil Frammartino eine politisch-historisch Ebene ebenso wichtig zu sein scheint wie die fast spirituelle Huldigung der Landschaft.

(In den Berliner Kinos b-ware!, Il Kino, Wolf, alle OmU)

In einer frühen Szene kommen die Forscher im Dorf an, während sich dessen Bewohner vor dem Fernseher versammelt haben. Dort läuft eine Reportage über die Errichtung des Pirelli-Hochhauses in Mailand, Symbol des italienischen Aufschwungs. Die einen sind vom in die Höhe wachsenden Fortschritt so fasziniert wie die anderen von der archaischen Vergangenheit in der Tiefe, das Geld für Bauprojekte wie für Forschung bleibt jedoch im Norden. Es sind solche feinen Beobachtungen, die eine manchmal etwas allzu schlichte Indienstnahme des alten Hirten und seiner Falten zur metaphysischen Beschwörung des Lebens als solchem wieder erden.

Es ist jedenfalls hocherfreulich, dass „Ein Höhlengleichnis“ ein Jahr nach seiner Premiere in Venedig nun tatsächlich noch einen Kinostart erhält. Kaum ein Film der letzten Jahre hat sich so sehr nach der dunklen Höhle des Kinos gesehnt wie dieser.

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