Greta Gerwig und die berühmteste Puppe der Welt: Gibt es einen Barbie-Feminismus?
Das Mittel gegen Sexismus und Ungleichheit zwischen den Geschlechtern (beziehungsweise allen sexuellen Orientierungen) hat eine Farbe. Sie ist handelsüblich eingetragen unter der Bezeichnung Pantone 219 C, was in diesem Fall nicht ganz unwichtig ist, denn wir bewegen uns mit diesem Rosa in der Sphäre von Konzernen und geistigem Eigentum.
Pantone 219 C ist die Signaturfarbe von Barbieland, in dem Frauen den Weltraum bereisten, bevor der erste Mann den Fuß auf den Mond setzte (1965), der Supreme Court rein weiblich besetzt ist (von Vorteil, wenn es etwa um das Recht auf Abtreibung geht) und Frauen in Minikleidern sich keine anzüglichen Bemerkungen anhören müssen, wenn sie an einer Baustelle vorbeigehen (weil auch die körperliche Arbeit von den Geschlechtsgenossinnen geleistet wird).
Das Matriarchat von Barbieland
Dass Barbieland eine gesellschaftliche Utopie darstellt, in der zur Abwechslung mal die Männer nur auf eine einzige Funktion reduziert sind – und das gesellschaftliche Fundament erschüttern, wenn sie auf ihr Recht pochen, unterschiedliche Rollen auszufüllen –, ist natürlich ironisch zugespitzter Marketingsprech. In Greta Gerwigs „Barbie“ sichert er gleich in der Eröffnungssequenz, in der die Evolution von Baby-Puppen zu Mama-Puppen in einer „2001 – Odyssee im Weltraum“-Parodie vollzogen wird, den ersten Lacher. Dass im Original Helen Mirren den Sieg des Feminismus im Off erklärt, verleiht dem Witz eine schöne Metaebene.
In diesem Prolog, der zugleich als Werbefilm, Satire, aber auch als früher Beweis von Gerwigs Kino-Nerdtum (Powell & Pressburgers „Irrtum im Jenseits“, „Die Regenschirme von Cherbourg“) fungiert, steckt im Grunde schon die Essenz eines Films über ein Kulturprodukt, dem wie kaum ein zweites auch eine Geschichte der Missverständnisse anhaftet. Die erste Barbie-Puppe verkörperte 1959 noch einen American Way of Life, der in den sechziger Jahren tatsächlich ein globaler Exportschlager war, zumindest bis zum Beginn des Vietnamkrieges.
Der Spielzeughersteller Mattel schuf das idealisierte Bild einer Frau, die Astronautin, Chirurgin und CEO sein konnte – aber selbstverständlich auch über eine anatomisch unmögliche Figur verfügen sollte; inklusive einer gestelzten Ferse, mit der man quasi im Gehen aus den High Heels schlüpfen konnte.
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„Wenn ich solche Füße hätte“, sagt die über Nacht plattfüßig gewordene Barbie, gespielt von Margot Robbie, zu Beginn, „würde ich nie hochhackige Schuhe tragen.“ Womit sie ein Dilemma von Generationen von Frauen, die mit dem Role Model Barbie aufgewachsen sind, auf eine etwas schlichte, aber letztlich plausible Weise beschreibt.
Das „Produkt“ an ein jüngeres, nachgewachsenes Publikum heranzuführen und dabei den Markenkern möglichst unangetastet zu belassen: Das ist die große Herausforderung, die auch die amerikanische Filmindustrie schwer beschäftigt, seit das Prinzip Franchise zum alles dominierenden Geschäftsmodell geworden ist. Produkte sind ein Fixpunkt in Hollywood, seit Michael Bay es für eine gute Idee hielt, die Transformers-Actionfiguren des Spielzeugherstellers Hasbro in einen absurd erfolgreichen Sommer-Blockbuster zu verwandeln.
Diversität im Spielzeugladen
Nach Lego-Filmen gab es zuletzt unter anderem Ben Afflecks Komödie über die Entwicklung des Sneakers Nike Air Jordan, gerade hat Eva Longoria eine Art Biopic über den Erfinder der Chilli-Chips Flamin’ Hot Cheetos gedreht. In diesem (pop)kulturellen Klima wird Greta Gerwigs „Barbie“-Fantasy künftig den Referenzpunkt darstellen.
Das ehemalige It-Girl des amerikanischen Independentkinos fragt sich stellvertretend für alle Frauen ihrer Generation, ob ein magersüchtiges Püppchen heute noch als Rollenmodell dienen kann. Und wenn ja, unter welchen Bedingungen. In Sachen Diversität war die Spielzeugindustrie Hollywood um Jahrzehnte voraus: Die erste schwarze Barbie (Christie) kam bereits 1968 auf den Markt, eine indische Version 1995. Seit sieben Jahren gibt es Barbie auch als „kurvige“ Puppe.
Trotzdem bleibt der Markenkern problematisch, selbst wenn er schon in den 1960er Jahren eine Art Plastik-Matriarchat insinuierte. Darum bekommt Margot Robbies Figur das Attribut stereotypical angehängt – eine Bezeichnung, die die Produzentin und Hauptdarstellerin des Films mit Stolz und Ironie trägt. Denn Barbie ist auch in Gerwigs Filme viele, eine Multitude mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen, Karrieren und Körperformen.
Ähnlich wie beim diversitätsbewussten Casting der Netflix-Serie „Bridgerton“ hat der „Barbie“-Film die Realität des Spielzeugmarktes inzwischen eingeholt: Issa Rae als schwarze Präsidentin von Barbieland, Alexandra Shipp als Nobelpreis-Barbie, Sharon Rooney als Anwältin-Barbie, die non-binäre Schauspieler:in Hari Nef als Dr. Barbie. Und die wie immer einmalig erratische Komikerin Kate McKinnon als Weird-Barbie, die die Misshandlungen zahlloser junger Mädchen an ihren Puppen erduldet.
Heldinnenreise in die Wirklichkeit
„Barbie“ ist eine Heldinnenreise in unsere Realität; im Schlepptau Ken, der sich im rosafarbenen Cabrio versteckt. In der wirklichen Welt sind neun glamouröse Frauen auf einem Plakat nicht etwa Richterinnen am Obersten Gerichtshof, sie machen lediglich Werbung für eine Tanz-Revue. Und Männer üben in den Chefetagen wie eh und je Macht aus, verstehen diese aber geschickter zu kaschieren.
Und außerdem reiten sie am liebsten auf Pferden und tragen bevorzugt Nerzmäntel – so wenigstens lautet die Version, die Ryan Goslings stark unterbelichteter Ken (auch er ist in „Barbie“ viele) aus der Welt der Menschen mit zurück ins Barbieland nimmt. Das Patriarchat ist für einen Mann ohne Genitalien eigentlich gar keine so schlechte Idee: Barbies Malibu-Traumhaus verwandelt sich in eine man cave.
Der eigenschaftslose Avatar in einer Identitätskrise, der sich auf die Suche nach seinem Schöpfer begibt, ist natürlich ein Künstliche-Intelligenz-Motiv par excellence. Stereotypical Barbie stellt gewissermaßen die weibliche Version des Bordcomputers HAL 9000 dar, der in „2001“ ein Bewusstsein entwickelt (die zweite Kubrick-Referenz im Film). Das Bewusstsein ist in „Barbie“ aber nicht das Problem, es scheitert bloß an dessen Umsetzung in der Wirklichkeit.
Als die fleischgewordene Barbie vor ihrer früheren Besitzerin Sasha (Ariana Greenblatt), inzwischen im Teenageralter, steht, überkommt sie die Erkenntnis einer kognitiven Dissonanz; ein Wort, das die neue Barbie zu ihrer eigenen Überraschung wie selbstverständlich benutzt. Die Puppe, die nur Gutes will (“to inspire and nurture the limitless potential in every girl”, versprach die Werbung damals), muss erkennen, wie viel psychologische Beschädigungen sie bei jungen Mädchen angerichtet hat. Währenddessen planen die Kens in Barbieland den Umsturz.
Ein Wort steht zwischen dem Film von Greta Gerwig, die mit „Layby Bird“ (2017) und „Little Women“ (2019) zwei der schönsten Porträts von jungen Frauen gedreht hat, und dem Produkt (Jahresumsatz: 1,5 Milliarden Dollar), das Mattel verkaufen will. Feministisch.
Die Regisseurin hat es in Interviews oft benutzt, auch wenn die Bewusstseinswerdung von Ken in „Barbie“ eine fast ungebührlich ebenbürtige Rolle spielt. Der Konzern vermeidet das F-Wort, auch weil es ein Eingeständnis der problematischen Vergangenheit ihres Bestsellers wäre. Gleichzeitig braucht Mattel Gerwig aber, um das Produkt als zeitgemäßes Pop-Phänomen aufzupäppeln, inklusive Internet-Memes und Youtube-Fanvideos.
Barbie als Pop-Phänomen fürs Internet-Zeitalter
Wie sehr Gerwig allerdings auch auf das Okay des Konzerns angewiesen ist, lässt sich bereits daran erahnen, dass „Barbie“ stellenweise wie ein animierter Spielzeugkatalog aussieht. Sie habe einen Film machen wollen, bei dem man das Gefühl habe, hineingreifen zu können, hat die Regisseurin und Ko-Autorin (mit ihrem Partner Noah Baumbach) in Interviews gesagt. Der Barbie-Feminismus fällt darum immer auch mit der Tür ins Traumhaus (das keine Innenräume hat). „Ich bin der Mann mit der wenigsten Macht im Raum“, sagt einmal ein unterrangiger Mattel-Angestellter. „Macht mich das zur Frau?“
Der Konzern tritt in der Metakomödie ebenfalls in Erscheinung. Will Ferrell spielt den Mattel-CEO als skurrilen Bösewicht, der das Gespenst, das der kulturelle Wandel geweckt hat, so geräuschlos wie möglich wieder nach Barbieland zurückbefördern möchte. Ein anderes Gespenst, die Barbie-Erfinderin Ruth Handler (Rhea Perlman), sitzt im 17. Stock des Hauptquartiers und hält ihrer Schöpfung eine Motivationsrede.
Die Zahl an Ideen, die Gerwig in 114 Minuten durchrauscht – „Barbie“ möchte nebenbei auch ein pinkfarbenes Musical sein –, zeigt, wie sehr dieser unwahrscheinliche Sommer-Blockbuster sich an der Quadratur des Kreises abmüht. Für Greta Gerwig bedeutet „Barbie“, bei aller Liebe, die spürbar in ihrem Film steckt, nur eine Etappe auf dem Weg zur größten Hollywood-Regisseurin der Gegenwart.
Für Mattel ist es dagegen ein Anfang. 13 weitere Realfilme sollen folgen: unter anderen über die Rennwagen Hot Wheels und den violetten Dino Barney. Wir werden uns in den kommenden Jahren an das rotgezackte Logo, das wir bisher nur aus der Spielzeugabteilung kannten, wohl auch im Kino gewöhnen müssen.