Eine sensationelle Sammlung – mit düsterer Vergangenheit
Wer am Zürcher Heimplatz die Tram 3 verlässt, die direkt vor David Chipperfields Erweiterungsbau für das Kunsthaus hält, erlebt zu seinen Füßen eine erstaunliche Begrüßung. „Enjoy WW2 Profit“, steht da zwischen den Gleisen frisch auf den Asphalt gesprayt. Erst dann fällt der Blick auf das in hellem Naturstein erstrahlende Gebäude vis-à-vis. Willkommen am Streitort Nummer eins der Alpenrepublik. „Genießen Sie den Zweiten Weltkrieg-Profit“, geben die Kritiker des neuen Museums den Besuchern ironisch mit auf den Weg. Die Stimmung hat sich auch zwei Wochen nach der feierlichen Eröffnung nicht gebessert.
Dabei sollte es der große Coup für Zürich werden, wie in Berlin das Humboldt-Forum mit seinen Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Das Ethnologische Museum hatte ebenfalls Jahre vor der Eröffnung zu einem ähnlichen Thema unter scharfer Beobachtung gestanden und steht es noch: der Provenienzforschung. Während im Humboldt-Forum die Bestände aus kolonialem Kontext zunehmend Fragen aufwarfen, machte in Zürich die Sammlung von Emil Bührle Ärger, dem größten Waffenexporteur der Schweiz, der seine Kunst unter anderem in den 1940er Jahren im besetzten Paris erwarb.
Um Bührles sensationelle Kollektion herum wurde der Erweiterungsbau geplant, könnte man sagen. Sie war ein entscheidendes Argument für die Erweiterung der Ausstellungsfläche um 5000 Quadratmeter. Knapp ein Fünftel geht an die Sammlung Bührle mit 170 Werken ganz oben im zweiten Geschoss. Seine Manets, Cézannes, van Goghs, Monets dürften der eigentliche Anziehungspunkt sein. Zürich besitze nun die größte Sammlung des Impressionismus außerhalb von Paris, vermeldete Direktor Christoph Becker zur Eröffnung denn auch stolz. Bührle, das ist die Krönung der Aktivitäten des seit über 100 Jahren bestehenden Kunsthauses, das als Rückgrat immer Sammler gesammelt hat, sich aber dadurch auch angreifbar macht.
Nun muss es für die fragwürdigen Käufe eines Emil Bührle geradestehen, seine windige Karriere erklären als Munitionslieferant für jegliche zahlende Kundschaft – an die Nationalsozialisten wie Alliierten, an China wie die USA. Auch vom Einsatz von Zwangsarbeitern während des Zweiten Weltkrieges in seinen Betrieben in Deutschland wusste der Sammler. Was die Causa noch pikanter macht: Die nach seinem Tod 1956 gegründete Familienstiftung verstand es bisher immer, Restitutionsersuchen abzuwehren.
All das im Hinterkopf, öffnet man die schwere Messingtür zum gerippten Chipperfield-Bau. Auch um ihn ist gerungen worden. Die Entscheidung, das Kunsthaus neben dem bestehenden Moser- und dem Pfisterbau, den übrigens Bührle finanzierte, sowie dem Müller-Bau an der Südseite des Heimplatz um einen weiteren Standort zu erweitern, geht auf das Jahr 2001 zurück. 2008 gewann der britische Architekt den Wettbewerb, nach einer Volksabstimmung über die Mittel und letzten Auseinandersetzungen ums Grundstück begannen 2015 endlich die Arbeiten. Von den Kosten in Höhe von 206 Millionen Schweizer Franken übernahmen jeweils 88 Millionen die Zürcher Kunstgesellschaft als Träger und die Stadt, 30 Millionen gab der Kanton.
Zwanzig Jahre später ist das Projekt vollendet und der gewaltige Kubus mit unterirdischer Verbindung zum Mutterhaus mit Kunst gefüllt. An seiner äußeren Erscheinung hatte sich schon während der Entstehung Kritik entzündet: zu kompakt, zu wenig auf die Umgebung bezogen, eher wie ein weiteres Bank- oder Versicherungsgebäude. Ein einladendes Museum für das 21. Jahrhundert, das auf veränderte soziale Bedürfnisse reagiert, sieht zumindest von außen anders aus. Das Café am rechten Eck ist außerdem überteuert, der neue Garten hinter dem Haus versteckt. Für ein breites Publikum wirkt das wenig anziehend. Den Tate-Modern-Effekt, für den etwa in Berlin beim künftigen Museum des 20. Jahrhunderts ein breiter Vorplatz mit Aufenthaltsqualität sorgen soll, wünscht sich Chipperfield wohl vergeblich.
Sein Museum am verkehrsumtosten Heimplatz ist ein closed shop. Umso größer der Effekt, wenn man die große elegante Eingangshalle betritt, die bis unter die Decke reicht und vom Oberlicht moduliert wird. Natürlich hat Chipperfield wieder ein Meisterstück abgeliefert. Eine repräsentative Treppe, wie sie zum Repertoire eines klassischen Museums gehört, führt in die oberen Geschosse. Alles atmet Understatement durch die schlichten, geometrischen Formen, die coolen Raum-Verweise im Fifties-Style mit kleinen schwarzen Buchstaben.
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Der Luxus entfaltet sich erst in der Materialität: dem in sämtlichen Türen, Lüftungsgittern, Wandverkleidungen wiederkehrenden, goldglänzenden Messing, dem Marmorboden, dem feinst geschliffenen Beton, der sich an der Brüstung zum Lichthof sogar leichte wölbt.
Der Besucher lustwandelt regelrecht. Natürlich geht es gleich nach oben zu Bührle, die Sammlung ist atemberaubend, ein Meisterwerk nach dem anderen. Und doch ist die Freude getrübt. Warum müssen die Strategien des Sammlers in jedem Saal noch eigens erläutert werden? Texttafeln informieren darüber, in welchen historischen Kategorien er sammelte, warum ihm etwa Bildnisse wichtig waren. Das Kunsthaus zelebriert den Feingeist, auch wenn eine Dokumentation am Ende dessen Verflechtungen aufklärt. Besser wird es dadurch nicht.
Mit der Eröffnung des Erweiterungsbaus beginnt für das Kunsthaus eine neue Zeitrechnung, schreibt Direktor Becker im Katalog. Es ist nun das größte in der Schweiz. Niemals zuvor gab es so viel Raum für die Kunst. Das neue Modell sieht vor, Privatsammlungen separat zu präsentieren. Neben Bührle treten im Chipperfield-Haus nun die Sammlungen von Herbert Looser mit Werken des Abstrakten Expressionismus, der Minimal Art und die auf Expressionismus und Fauvismus fokussierte Sammlung von Gabriele und Werner Merzbacher, der sich mit einem Kindertransport vor den Nationalsozialisten retten konnte. Jede Privatsammlung bekommt ihren eigenen Parcours, dazwischen fügen sich Ausstellungsräume zu Sonderthemen, etwa zur Umwelt, dazu mehr Zeitgenössisches, mehr Künstlerinnen und mehr außereuropäische Positionen.
Eine solche Verteilung wirft Fragen auf. Nicht das Museum spricht, das Publikum bekommt stattdessen die Erzählung eines Sammlers wie Bührle vorgeführt. Seine Nachlassverwalter konnten sich ausbedingen, wie die Kunst präsentiert wird. Für sie ist es der größte Coup von allen. Nachdem die bisherige Unterbringung in einer Privatvilla am Rande der Stadt zu teuer und unsicher geworden war (Cézannes „Junge mit der roten Weste“ kehrte nach dem spektakulären Einbruch 2008 zum Glück wieder zurück), bietet das Kunsthaus für sie nun optimale Bedingungen. Der Leihvertrag über 203 Werke sei auf Dauer angelegt, heißt es, auf jeden Fall die nächsten 13 Jahre. Für die Stiftung Bührle ist es ein prima Deal.
Das Kunsthaus führt vor, in welcher Zwangslage sich Museen heute befinden. Sie müssen wachsen, um attraktiv zu bleiben, können sich aber größere Ankäufe nicht leisten. Sie sind auf die Unterstützung von Sammler:innen angewiesen, die bei den dann wiederum notwendig gewordenen Erweiterungsbauten mitreden wollen, in die ihre Werke eingehen. In Berlin ließen Marx und Pietzsch beim Museum des 20. Jahrhunderts ihre Muskeln spielen. Sie drohten mit Abzug. Für die zweitgrößte Impressionistensammlung zahlt Zürich einen hohen Preis.