Kampfgruppe auf Saunabesuch

Drei junge Männer in einem Park. Sie schlendern, sie feixen. Sie sind so unverbraucht und unruhig wie Jean-Paul Belmondo in Godards „Außer Atem“ – der Film ist gerade erst erschienen. Einer hebt ein Steinchen auf und wirft es übers Gras, ein anderer springt übermütig auf die Lehne einer Parkbank. Ein dritter, der schmalste, ruhigste, rupft einen Grashalm aus. Er trägt zur hellen Hose ein weißes Hemd. Das ist der Maler Peter Herrmann.

Das war Peter Herrmann. Vor sechzig Jahren. Genauso alt sind die Filmaufnahmen von Jürgen Böttcher, der damals noch nicht Strawalde hieß. „Drei von vielen“ heißt der Dokumentarfilm, gedreht kurz vor dem Mauerbau. Die anderen beiden Männer auf den Schwarzweißaufnahmen sind der Maler Peter Graf und der Bildhauer Peter Makolies. Herrmann ist damals im Hauptberuf Chemigraph, Graf ist Kraftfahrer, Makolies Restaurateur. Künstler sind sie alle, aber nur abends, nachts und am Wochenende. Kennengerlernt haben sie sich über den, der hier hinter der Kamera steht: Bei einem Malzirkel an der Dresdner Volkshochschule. Jürgen Böttcher hatte dort unterrichtet.

„Drei von vielen“ heißt auch die Potsdamer Ausstellung, die jetzt an diese Künstlerfreundschaft erinnert. Die Jungen von damals sind heute betagte Männer. Jürgen Böttcher ist in diesem Jahr 90 geworden. Sein Film erzählt von der Freundschaft der drei anderen. Von ihrer Arbeit, ihren Familien, der Liebe zum Jazz und der Liebe zur Kunst. Es ist ein zarter, poetischer Film. Einer der ersten Versuche Böttchers, „authentische, möglichst aufrichtige Filme der sogenannten einfachen Leute zu machen“, wie er es später formulierte. Verboten wurde er trotzdem. Die Kritik: „Der Bitterfelder Weg vom Ku’damm aus gesehen.“ Gewünscht war der Blick von der Karl-Marx-Allee.

„Ich habe nie verstanden, warum der Film verboten wurde“, sagt Peter Herrmann heute. Gesehen hat er „Drei von vielen“ erst 1988. In Hamburg war das, an einer Hochschule. Er erinnert sich, wie die Studenten feixten, weil ihnen die gezeigte Welt so fremd war. Die DDR hatte Peter Herrmann 1984 verlassen, ohne vorher irgendjemandem etwas zu sagen. Herrmanns Tochter, die in „Drei von vielen“ in einer Messingwanne gebadet wird, ist damals 23. Der Sohn ist sechzehn. Er lässt beide zurück. Seinen Vater sieht er nicht wieder. Leicht war das nicht. Aber er und seine Frau schworen sich: kein Heimweh. Nicht nach den Elbwiesen, nicht nach dem Dresdner Freundeskreis.

Zuvor hatte das künstlerische Einverständnis der eingeschworenen Gruppe lange Zeit über Unfreiheiten und Unzulänglichkeiten hinweggeholfen. „Erste Phalanx Nedserd“ nannte sich der Kreis, der sich 1953 um Jürgen Böttcher gegründet hatte. Neben Herrmann, Graf und Makolis gehörten auch der Maler Winfried Dierske und, als heute Bekanntester der Runde, Ralf Winkler dazu – alias A.R. Penck (1939-2017). „Erste Phalanx“, das war eine spielerische Kampfansage an die Doktrin des sozialistischen Realismus. Herrmann beschreibt das damalige Miteinander als eine „andere Welt“: Man fühlte sich in ihr „fast unantastbar“.

Die Luft wurde immer dünner

In der Ausstellung, die in der Potsdamer Galerie Cavallerie 26 die Weggefährten nun noch einmal zusammenholt, ist Pencks Plakatentwurf für eine gemeinsame Ausstellung im Dresdner Puschkinhaus von 1965 zu sehen, schon damals mit den unverkennbaren Strichmännchen. Die Schau endete im Eklat: Die Künstler hängten ihre Bilder ab, bevor die Ausstellung verboten werden konnte.

[„Drei von vielen“, Cavallerie 26, Berliner Str. 26c, Potsdam. Eröffnung am 30.10. um 16 Uhr. Zu sehen bis 14.11. Eintritt frei.]

Dresden und die DDR wurden immer enger, die Stimmung denunziatorischer. „Die Luft wurde immer dünner“, sagt Herrmann. Ein Porträt von Peter Graf aus den 1970er Jahren zeigt Peter Herrmann mit trübem Gesicht und hängendem „Pessimisten-Bart“, er sieht aus wie der von ihm verehrte Wolf Biermann. Biermann war in der Dresdner Wohnung oft zu Gast. Wenn er und Eva-Maria Hagen sangen, verkroch sich Herrmanns Sohn unter dem Tisch.

1984 verließ Peter Herrmann die Elbwiesen und den Freundeskreis. Rückblickend ließ er mit dem Weggang auch seine Erdfarben zurück. Ein Bild heißt „Abschied von Dresden“: ein abgeholzter Wald, im Vordergrund ein engumschlungenes Paar. Im Westen explodierte die Farbpalette. Statt erdiger Töne kräftige, fast schrille Farben. Das Rot hat er in London entdeckt, als er dort A.R. Penck besuchte: an den Bussen und Telefonzellen.

Ein großformatiges Bild in der Potsdamer Ausstellung wird ganz und gar von diesem Rot beherrscht. Ein Bild der Dresdner Freunde, halb humorvolle, halb ernste Verbeugung vor einer Verbindung, die Ländergrenzen und Zeitenwenden überdauerte. Es zeigt fünf nackte Männer, nicht mehr jung und noch nicht alt: Neben den Dreien aus dem Film Jürgen Böttcher und A.R. Penck. Entstanden ist es 1995. Der Titel war ursprünglich „Saunabesuch“. Dann fand Peter Herrmann einen passenderen: „Kampfgruppe“.