Ein Verlobter für Papa
Not macht erfinderisch, besagt ein schönes altes Sprichwort. Und kaum eine:r unter den Theaterleiter:innen der Stadt hat diese Weisheit in Pandemie-Zeiten so eindrucksvoll beglaubigt wie Dieter Hallervorden.
Nur zur Erinnerung: als im Spätsommer 2020 das Hygiene-Gebot der Stunde lauter leere Reihen verlangte (was ja wirklich traurig anzusehen ist), kam der Mann auf die Idee, die freien Plätze am Schlosspark Theater mit Puppen aufzufüllen.
Hut ab, vor so viel Kreativität
Mit Stoffgesellen, die „entsprechend der Brandschutzverordnung“ (so die damalige Pressemitteilung) vom Haus vorgefertigt wurden und von Zuschauer:innen nach eigenem Gusto ausstaffiert werden konnten. Es ist nicht überliefert, ob sich damals im Steglitzer Parkett unangemessene Flirt-Szenen abgespielt haben („Na Püppchen, wie wär’s mit uns beiden?“). Jedenfalls musste man vor so viel Kreativität den Hut ziehen. Oder ihn der Puppe neben sich aufsetzen.
Unterdessen ist die Corona-Krise zwar nicht vorbei, aber wenigstens werden aktuell keine leeren Sitzreihen verlangt. Weswegen am Schlosspark Theater die erste Premiere des neuen Jahres vor einem ausverkauften Saal mit lauter enthusiastischen Menschen stattfinden konnte, die zuvor geduldig über den roten Test-Teppich marschiert waren, um Impfung und tagesaktuelle Negativ-Bescheinigung vorzuweisen.
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Alles besser als kein Theater oder Minuskulisse. Zumal drinnen ein Stück von Bouvelard-Routinier Folke Braband wartet, das zwei Stunden lang durchaus unterhaltsam die Zumutungen der Zeit vergessen lässt – nicht nur das Virus, sondern auch die Wokeness, gegen die Hausherr Hallervorden so engagiert polemisiert. Wie zitiert der Schauspieler Fabian Hinrichs so gern? „Nur Gefängniswärter haben etwas gegen Eskapismus.“
Auch zur Brabandschen Komödie „Rent a Friend“ passt das Sprichwort: Not macht erfinderisch. Der Autor und Regisseur erzählt von der taffen Businessfrau Sarah (Alessija Lause), die irgendwas mit Investment und Immobilien macht, weswegen sie dauernd telefonieren und englische Stanzen raushauen muss („I know that’s fucking much money!“). Verständlich, dass darüber wenig Zeit fürs Privatleben bleibt.
Ihr Papa ist Millionär
Ihrem Vater Karl (Torsten Münchow, der die Rolle für den ursprünglich vorgesehenen Michael Mendl übernommen hat) gaukelt Sarah allerdings einen Traum-Verlobten vor – den gutaussehenden und noch besser verdienenden Schönheitschirurgen Marc. Als der Papa, ein Selfmade-Millionär mit Wohnsitz Karibik, seinen Besuch zum Abendessen ankündigt, muss das Problem von Marcs Nichtexistenz gelöst werden.
Was die Agentur „Rent-a-friend“ möglich macht. Die vermittelt Schauspieler:innen für die Inszenierung von Familienidyll und Fake-Freundschaften. Kleiner Haken: Statt des versprochenen George-Clooney-Lookalikes schickt die Agentur versehentlich Gabriel „Gabi“ Breuer (Bürger Lars Dietrich).
Von Fettnapf zu Fettnapf
Der war eigentlich auf Kinderbespaßung als lustiger Onkel vorbereitet – und muss jetzt, weil keine Zeit zum Umtausch bleibt, kurzerhand auf 55-jährigen Mann von Welt umswitchen. Sarah steckt den eigentlich zu jungen und zu unseriösen Kumpeltyp in einen teueren Anzug, verpasst ihm ein Blitzbriefing und schon muss losdilettiert werden.
Als Macho-King Karl („Viagra? Wozu? Ich brauche ein Gegenmittel!“) mit seiner neuen Frau Juanita aufschlägt – einer vormaligen kubanischen Schönheitskönigin (Caroline Beil) – beginnt die große Aufschneiderei. Immer absurder, immer Fettnäpfchen-trächtiger.
[“Rent a Friend” läuft bis 20. Februar im Schlosspark Theater, immer dienstags bis sonntags]
Klassischer Boulevardstoff also. Von Braband schnörkellos auf die Nobelinterieur-Bühne von Tom Presting gebracht und mit zeitlos gültiger Message versehen: Mehr Sein als Schein wagen! Der Abend funktioniert und trägt über manche Kalauer-Untiefe, weil Profis am Werk sind.
Nicht zuletzt auf Schauspieler:innen-Seite. Das Quartett Lause, Beil, Dietrich und Münchow hat einen guten Flow und das passende Timing, zu den Highlights zählt eine Szene, in der Gabriel alias Marc sich vor Big Daddy und seiner Juanita in deutsch-englischem Kauderwelsch in die tragische Geschichte vom Unfalltod der ersten Frau schraubt und Sarahs rettende Liebe beschwört: „Ohne ihre Unterstützung wäre ich vor die Hunde gegangen, I would be going in front of the dogs“. Begeisterter Applaus von über 400 echten Menschen im Schlosspark Theater.