Der deutsche Fußball ist keinesfalls zweitklassig

Woher kommt sie, diese Hypersensibilität der Deutschen, wenn es um den Fußball geht? Vielleicht vom Wunder vom Bern, dem WM-Gewinn der Nationalmannschaft im Jahr 1954, als hierzulande erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg wieder laut gefeiert wurde? Oder liegt es einfach daran, dass die Deutschen über die Jahrzehnte gesehen so erfolgreich waren in der populärsten Sportart der Welt? Fakt ist, dass der Fußball die nicht gerade als gefühlsduselig bekannten Deutschen aufrüttelt.

Wenn es gut läuft, wie etwa beim WM-Gewinn 1990 („Werden auf Jahre unschlagbar sein“, Franz Beckenbauer) oder 2014, werden sie übermütig. Wenn es schlecht läuft, wie am Dienstag bei der EM gegen England, sind viele Deutsche tieftraurig, manche sogar empört. Die „Bild“-Zeitung witterte Selbstbetrug; die Verlagsschwester „Welt“ stufte den deutschen Fußball als zweitklassig ein.

Wie tief also sind wir Fußballdeutschen nun gesunken?

Wer nach Antworten sucht, kann sich zum Beispiel den Spielberichtsbogen aus dem England-Spiel ansehen. Nüchtern betrachtet, handelt es sich um eine hochveranlagte Mannschaft. Sie vereint arrivierte Weltstars des Fußballs wie Manuel Neuer oder Toni Kroos sowie hoffnungsvolle junge Spieler wie Kai Havertz oder Jamal Musiala. Joachim Löw und seine Trainerkollegen, das ist sicher eine zentrale Erkenntnis dieses Turniers, haben extrem wenig aus diesem Team herausgeholt.

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Mut machen aber nicht nur die aktuellen Nationalspieler, sondern auch jene Talente, die bald aufrücken könnten. So gewann die deutsche U21 erst vor wenigen Wochen die Europameisterschaft. Viele Spieler dieser Mannschaft wurden in den zahlreichen deutschen Nachwuchsleistungszentren ausgebildet. Apropos Talentförderung: Der deutsche Fußball befindet sich in einem Umbruch. Nicht mehr der Wettbewerb, sondern die individuelle Entwicklung der Spieler soll künftig im Vordergrund stehen. Dazu entsteht in Frankfurt am Main die Fußball-Akademie, die gewährleisten soll, dass die zentralen Förderprinzipen auch die größten deutschen Hoffnungen im Fußball erreichen. Nach diesem Prinzip verfahren alle großen Fußballnationen schon seit Jahren. Nun endlich auch Deutschland.

Quantitativ bestehen ohnehin keine Sorgen. Die Lust am Fußball ist ungebrochen. Der Deutsche Fußball-Bund zählt dauerhaft über sieben Millionen Mitglieder. Und als Letztes stimmt positiv, dass in Hansi Flick nun ein Trainer das Amt von Joachim Löw übernimmt, der zuletzt einen Vereinstitel nach dem anderen gewonnen hat. Es steht daher gar nicht so schlecht um den deutschen Fußball. Daran ändert nicht mal eine Niederlage gegen England etwas.