Theatertreffen Berlin: Shakespeares „Sommernachtstraum“

Das Theater ist auf der Suche. Auch nach sich selbst. Das ist kein ganz neuer Befund. Aber es ist schon auffällig, dass in vier der bisher sechs beim diesjährigen Berliner Theatertreffen gezeigten Inszenierungen alles mit einer Art Probe, einem Casting oder einer wie improvisierten Vorbesprechung beginnt. Mit dem Versuch einer gespielten Selbstreflexion. Was in und nach allen Krisen in Zeiten von Krieg, Klimawandel, Krankheit mitsamt verordneten Spielpausen auch kein Wunder ist.

Die bisher bemerkenswertesten Fälle des Festivals markierten dabei der siebenstündige Auftaktmarathon „Das Vermächtnis“ vom Münchner Residenztheater und nun „Ein Sommernachtstraum“ aus Basel. Einmal ganz groß gedacht und mitunter sehr melodramatisch gemacht die Wiedererinnerung der HIV-Pandemie als Zivilisationsschock der 1980er Jahre und Vermächtnis bis heute. Und jetzt, am tatsächlich ersten sommerhaften Abend des Jahres, Shakespeares Nachtkomödie.

Beide ansonsten völlig unterschiedlichen Aufführungen verbindet zunächst: Es durfte auch zur Entlastung von allem Katastrophenjammer immer wieder mal gelacht werden. Obwohl sogar der so gerne romantisch verbrämte „Sommernachtstraum“ kein leichter Stoff ist. Sondern von den Abgründen des Eros, von Liebe und Wahnsinn, von schwarzer Magie (bis hin zur Sodomie) handelt und am märchenhaften Athener Hof und Wald der Königpaare Theseus/Oberon und Hippolyta/Titania sogar von Kolonialismus und Me-Too erzählt wird.

Stark kondensiert

Aber die gut zweieinhalbstündige Shakespeare-Version von Antú Romero Nunes und seinem Ensemble streift derlei Tiefen (und Untiefen) eher am Rande. Gleichwohl benützt die Basler Inszenierung in ihrer stark kondensierter Form neben kurzen englischen Originalzitaten durchaus auch die markante Übersetzung, die Angela Schanelec einst für den genialen Jürgen Gosch verfertigt hatte. Doch Regisseur Nunes hat hier den Grundeinfall, die Motive des Spiels im Spiel, die bei Shakespeare die Szenen der Handwerker rund um den berühmten Meister Zettel („Lasst mich den Löwen auch noch spielen!“) bestimmen, auf die Theater-AG einer Schweizer Schule von heute zu übertragen.

Freilich bilden nun nicht die Schüler, sondern die Lehrer den Theaternachwuchs. Was sofort eine amüsante Note ins Spiel bringt, weil die Pädagogen im Laienspiel selbst zu den oft ungelenk Lernenden, bei ihren Versuchen, kunstvoll und komisch zu wirken, ihrerseits zu großen Kindern werden. Und für das Heikle im Stück ist als leibhaftige Triggerwarnung auch noch die therapeutische Sozialpädagogin zur Stelle („um aufgehoben zu sein im Schrecken des Universums“). Mit sieben derart witzigen Spielerinnen und Spielern, die meist drei bis vier genderübergreifende Rollen haben, und dazu dem fabelhaften Musiker und „Soundproducer“ Luzius Schuler glaubt man sich bisweilen in einer ebenso poetisch-musikalisch-klamaukigen wie dann wieder wunderlich melancholischen Atmosphäre. So, als hätte Romero Nunes auch im Zaubergeist des Schweizer Kollegen Christoph Marthaler inszeniert.

Folglich sind sie auf der Bühne alle ein bisschen verschroben. Verhoben. Im Shabbychic der mal zu kurzen, mal zu schiefen, mal zu glitzigen Kostüme und in einer teils leeren, teils irgendwie rumpelrequisitösen Szenerie von Matthias Koch. Alle sind im Kollegium verbandelt („Patricia, mach doch mal den Puck!“), und begrüßt wird das Publikum von dem wunderbar salbadrig schusseligen Oberlehrer Dominik (Michael Klammer, später Theseus und Oberon) mit einem Dank für die Teilnahme beim „Festival des darstellenden Spiels“. So ist man plötzlich anachronistisch und örtlich entrückt. Eher Radebeul oder Basel-Hinterland. Bald darauf werden kleine Laubzweige im Publikum verteilt, damit Shakespeares Athener Wald aus dem Kreuzberger Hebbel-Theater alias HAU1 zurückgrüßen kann.

Profis spielen so Laien, und das kleine Kunststück sorgt für vielerlei Witz. Sven Schelker etwa als (hier nicht so genannter) Zettel möchte man gerne in noch mehr Rollen brillieren sehen oder Aenne Schwarz und Nairi Hadogo weiter Schwyzerdütsch, Schwäbisch und Shakespearebritisch reden hören. Und jede Silbe Sächsisch ist im griechisch-englischen Märchenwald eh ein Lacher. Was nur fehlt, sind die weniger harmlosen Verbindungen von Traum und Trauma, von Theaterprobe und Menschenexperiment. Von Katastrophenkomik. Aber unterhaltsam war’s.