Bienen und Wessis
Schon die Grundkonstellation dieser Geschichte wirkt wie eine seltsame, nämlich bewusst unoriginelle Variation ähnlich gelagerter Bücher, die von Stadtflucht und dem Leben in der ostdeutschen Provinz handeln.
In Lola Randls neuem Roman ziehen Friedel und Jakob in ein „ganz normales Straßendorf“, mit einem kleinen Laden und einer Kirche im Ortskern. Die Frau ist schwanger, der Mann Schriftsteller. Beide suchen auf dem Land „die nötige Ruhe“: sie für das Kind, er für den zweiten Roman, der nicht so recht gelingen will.
Doch die Idylle erweist sich – wer hätte das gedacht? – schon bald als trügerisch.
Auf einer Infotafel vor der Kirche wird jedenfalls an den Teufel erinnert, der das Gotteshaus „zum Einsturz hatte bringen wollen“. Doch die Kirchgänger haben „inbrünstig gebetet“, und so musste „der Teufel schließlich aufgeben“.
Womit schon auf der dritten Druckseite dieses nicht sehr langen Prosawerks geklärt ist, dass es in diesem Kaff zuweilen nicht mit rechten Dingen zugeht. Zumal auch auf der Speisekarte der Dorfschenke eine Sage von „behaarten Menschen“ abgedruckt ist, die in dieser Gegend einst lebten und einen ausgestopften Pferdekopf für eine Art Orakel hielten.
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Die Dörfler verhalten sich ansonsten erwartbar provinziell, und zwar „redefaul, um nicht zu sagen abweisend“. Was Friedel und Jakob genauso wenig abschreckt wie gruselige Mythen, so dass sich die beiden mit dem lokalen Immobilienmakler verabreden, von dem die eng bei Jakob bleibende Erzählstimme sagt, er sei „ein windiger dünner Kerl mit Jeans und gestreiftem Hemd, der eindeutig zu viel Parfüm aufgetragen hatte“.
Schon bald ist auch das passende Objekt gefunden: Eigentlich war das kleine „Landarbeiterhäuschen“ einem Mann aus der Nachbarschaft versprochen, aber der Makler möchte, wie Jakob vermutet, lieber „den Weg des Geldes gehen“. Und dieser führt über die Moneten von Friedels Eltern, die gleich mal dafür sorgen, dass der mittellose Jakob nicht im Kaufvertrag steht.
Wieder geht es um die Alternative Stadt oder Land – und warum beides nicht glücklich macht
Während Lola Randl das Paar nun durch einen lautstarken Streit, aber auch beim eher geräuschlosen Einzug und ersten Umbauten begleitet, erfahren wir einige Details aus Jakobs trostloser Kindheit. Die alleinerziehende und dauerbetrunkene Mutter gab dem Sohn offensichtlich bei jeder Gelegenheit das Gefühl, an allem schuld zu sein, was in ihrem Leben missglückt. Jakob scheint diese traumatischen Erfahrungen nicht bewältigt zu haben, schreibt er doch von seinem neuen Landdomizil kurios kindliche Briefe an die längst Verstorbene: „Liebe Mutter, so, jetzt ist es so weit: Ich werde wirklich Vater.“
Um die Geistesverfassung des stolzen, aber eben auch nervlich angespannten Jakob scheint es ohnehin nicht gut bestellt zu sein. Liegt es an der Einsamkeit? Friedel, die unbedingt aufs Land wollte, ist merkwürdigerweise nur selten daheim, sondern wieder zunehmend in der Stadt unterwegs. Derweil müht sich Jakob mit übergriffigen Nachbarn, angriffslustigen Kleintieren und einer eiternden Wunde an der Hand ab. Frühkindliche Ängste verbinden sich mit erwachsenen Horrorvisionen, wobei schon bald nicht mehr klar zwischen Einbildung und Realität zu unterscheiden ist. In einem Anfall von Raserei zertrümmert der so gefrustete wie verwirrte Zugezogene nicht nur Teile des neu-alten Eigenheims, sondern löscht auch die Romanfragmente, die sich partout zu keiner Einheit formen lassen.
[Lola Randl: Angsttier. Erschienen im Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2022. 174 Seiten, 18 €.]
Was sich als literarische Pointe erweist, denn in Lola Randls „Angsttier“ geht nun wirklich jeder Satz im Gesamtgefüge auf. Dermaßen wohlorganisiert sind die Motive aus Sagen und Legenden, dermaßen erwartbar die Abfolge der Erzählelemente in dieser fast schon possierlichen Gruselgroteske, dass Aufbau und Struktur ein wenig an ein literarisches Malen nach Zahlen erinnert. Damit ist auch das zentrale Erzählproblem dieses Buchs benannt, das weder dem Horrorgenre noch dem Dorfroman etwas Neues abzugewinnen vermag.
Die Autorin führt selbst in der Uckermarck ein ambitioniertes Landleben
Die 1980 in München geborene Lola Randl arbeitet seit zwanzig Jahren erfolgreich als Drehbuchautorin und Filmregisseurin. 2019 erschien ihr Debütroman „Der große Garten“, der überraschenderweise für den Deutschen Buchpreis nominiert worden war. Darin spöttelt die Autorin, wie es in einer Besprechung hieß, über die „euphorische Haltung psychisch instabiler Stadtmenschen zum Landleben“.
Lola Randl kennt sich mit diesem Typus gut aus, verließ sie doch selbst vor einigen Jahren die Berliner Metropole, um in der Uckermark ein ambitioniertes Landleben zu führen, von dem auch ihr autobiografischer Film „Von Bienen und Blumen“ handelt. Umso erstaunlicher, dass die Dialoge in ihrem nunmehr dritten Roman nicht selten Klischees bedienen: „Schweißwessis“, sagt etwa Jakobs ostdeutsche Nachbarin Ramona. „Denkt, ihr könnt alles kaufen. Denkt wohl, Ihr seid was Besseres.“
Die Konflikte der oft schematisch gezeichneten Figuren müssen aber zum Glück nicht weiter vertieft werden, da sie ohnehin nur als Erzähltapete für die finale Eskalation dienen. Wenn der Fuchsteufel die Menschen heimsucht, spielen weder sprachliche noch figurenpsychologische Feinheiten eine große Rolle. So entwickelt sich „Angsttier“ zu einem plakativen und streckenweise unfreiwillig komischen Horrortrip in die ostdeutsche Provinz.