Ausstellung „Wir sollen wie Hunde sein“ : Ziervogels beklemmender Selfie-Parcours

Einen Raum zum Wohlfühlen hat Ralf Ziervogel wahrlich nicht kreiert. An der Stirnwand der ortsspezifischen Installation „Parcours“ hängt eine Zeichnung im typischen Ziervogel-Stil. Ein akribisches Wimmelbild, das aus der Ferne reizvoll grafische und überaus ästhetische Strukturen suggeriert.

Um die filigranen Figurationen – mit denen der 1975 in Clausthal-Zellerfeld geborene Künstler bekannt wurde – überhaupt entziffern zu können, fordert das schwarzweiße Großformat mit den Lineaturen und Ornamenten aus überdrehten Gewaltspiralen zur absoluten Nahsicht auf.

Man muss nah rangehen

Doch gerade den unmittelbaren Blick vereitelt ZIERVOGEL, wie er sich seit 2019 nennt, in der Ausstellung „Wir müssen wie Hunde sein“. Die Sicht auf die Zeichnung „as if“ ist behindert, der Weg nach vorn verengt. Über zwei Ausstellungsräume zieht sich ein absurdes Leitsystem. Entlang mannshoher Eisengitter aus dicken metallfarbenen Rohren müssen sich die Betrachter:innen zum Bild vorarbeiten.

Hinterm Gitter wartet das Werk – in Ralf Ziervogels Ausstellung im Haus am Lützowplatz.
Hinterm Gitter wartet das Werk – in Ralf Ziervogels Ausstellung im Haus am Lützowplatz.
© Andreas Schimanski

Statt durch hüfthohe Absperrungen, wie wir sie von Flughäfen oder aus Pandemiezeiten (auch aus Museen) kennen, geht es im Haus am Lützowplatz durch zwei Meter hohe Viehgatter, die ein Käfiggefühl zwischen Rilke’s „Panther“ und Rindvieh erzeugen.

In der Zeichnung „as if“ trifft Pop- und Werbeästhetik auf den Krieg in den Köpfen. Auf einem phallischen Gebilde prangt das Label einer italienischen Espressomarke, sexuell diverse Gestalten werden von überdimensionalen Spritzen penetriert und Torsi mit Folterinstrumentarium traktiert.

Gewalt und Zerstörung als permanent Anwesendes – schleudert uns der Künstler mit bittergalligem Humor entgegen.

Archivieren aller Arbeiten

Dantes Inferno im Konsumkosmos des 21. Jahrhunderts. Bildbetrachtung zwischen Comic und Splatter-Movie und am Ausgang des labyrinthisch anmutenden „Parcours“ erwarten uns eine Rolle Natodraht und ein gefährlich offenes Starkstromkabel, das seinem Anschluss harrt.

Mit hintersinniger Chuzpe vereitelt Ralf Ziervogel den unbedarften Kunstgenuss. Konterkariert den freien Blick auf seine Zeichenkunst oder verschlüsselt und verflüssigt gleich sein gesamtes Werk der vergangenen 20 Jahre in „D:N:A (Der Kaktus hat recht: Nec spe nec metu: Archivieren aller Arbeiten) – Portrait“. Das Archiv, aufgesogen in einem weißen Papier, auf dem ansonsten nur noch die Werktitel zu lesen sind – natürlich in mikroskopisch kleiner Schrift.

Wir können versuchen, dieses hochkomplexe Verfahren der synthetisierten und verflüssigten DNA – sowohl der Künstler eigenen als auch der seiner Werke – nachzuvollziehen, wir können uns aber ebenso in der Phantasie vorstellen, wie all die winzigen Figuren und Zeichen über das Blatt oder durch die Wand – die Ziervogel eigens hat aufstemmen lassen – fliegen.

Die Kunst wird rudimentär, aufgelöst und verklausuliert. Findet nur noch im Kopf statt. Nicht ohne den genialischen Größenwahn aufs Korn zu nehmen. Nach der Ausstellung wird die Arbeit mit dem kryptischen Titel an Ort und Stelle eingemauert, schreibt sich der Künstler also für die Ewigkeit ins Gemäuer ein. Diejenigen, die doch noch an der physischen Materie kleben, können „D:N:A“ als Edition erwerben.

Größenwahn, echt oder gespielt?

Und dann berührt uns Ziervogel doch noch auf subtile Art, ganz ohne Zynismus mit „Südjapanisches Selbstportrait“. Der Körperabdruck des Künstlers als blasser Schemen. Lapidar steht daneben geschrieben: Fett auf Wand. In eben jener Art wie sich die Überreste von Menschen durch die Atombombenexplosion in Hiroshima in Gebäuden abgezeichnet hatten. Verblieben als einzige Spur eines Menschen, eines ausgelöschten Lebens war lediglich der Fleck seines Körperfetts.

Im Angesicht drohender Atombombengefahr ein beeindruckendes Memento mori, das zeigt, dass nicht der Künstler der Zyniker ist, sondern der Mensch in seiner Gewaltbereitschaft.

So erweist sich Ralf Ziervogel einmal mehr als Meister des psychologischen und absurden Brutalismus‘, der unsere Wahrnehmung herausfordert, Kunst nicht nur als ästhetischen Genuss sondern über Bande zu denken.