Er möchte lieber nicht
Einem Personalchef oder einer -chefin, überhaupt einer in der Firmenhierarchie übergeordneten Person Herman Melvilles „Bartleby“ zu schenken, ist ziemlich heikel: In gehobener Position wäre der Empfang dieses Buches, nicht ganz so berühmt wie Melvilles Wal-Wälzer „Moby Dick“, leicht misszuverstehen.
Der in der Wall Street, nun ja, tätige Notariatskopist Bartleby – das ist der personifizierte Schrecken jedes Personalverantwortlichen, der Arbeitsverweigerer par excellence, dessen stereotypes „Ich möchte lieber nicht“ niemand vergisst, der diese erstmals 1853 veröffentlichte Novelle je gelesen hat.
Oder ist dieser Schreiberling – „ausdruckslos sauber, erbarmungswürdig achtbar, hoffnungslos einsam“ – vielleicht doch eher eine tragische Inkarnation der Freiheit, des kompromisslosen Protests gegen entfremdete Arbeit und jegliche, dem Stumpfsinn verpflichtete Rollenmuster kapitalistischer Prägung?
Eine Möglichkeit der Deutung, die bei der Graphic Novel „Bartleby, der Schreiber“ (Übersetzung Tanja Krämling, Splitter, 72 S., 18 €) des spanischen Zeichners José-Luis Munuera („Die Campbells“, „Spirou“) stets mitschwingt. Weitaus offenkundiger als bei Melville, dessen Geschichte rätselhafter, verstörender erscheint als die seines Adepten.
Der hat seiner Version erst mal den Auftritt eines backenbärtigen Volksredners vorgeschaltet und legt ihm Worte aus Henry David Thoreaus Essay „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“ in den Mund – ein später wiederholt aufgegriffener Seitenstrang der Comic-Erzählung, den man in diesen Zeiten der Querdenkerei kaum mehr unbefangen rezipieren kann.
Inspiriert von Asterix-Zeichner Albert Uderzo
Klar, das hatte der Spanier kaum im Sinn, wenngleich seine zivilisationskritische Umsetzung der Melville-Vorlage mitunter eine Tendenz zum Holzhammerhaften zeigt, inklusive überflüssiger Modernismen wie eines kleinen Disputs über „Erdbeeren zu dieser Jahreszeit“, die „gegen das Gesetz der Natur“ seien.
Im Comic-Manhattan des gegenüber dem Original eher späten 19. Jahrhunderts – die 1883 eröffnete Brooklyn Bridge überspannt bereits den East River – war globaler Obsthandel sicher noch kein Thema.
So liegt die Stärke von Munueras Melville-Adaption weniger in den Sprechblasen und sonstigen Texteinschüben als vielmehr in den Zeichnungen. In ihren gedeckten Farben, diesen oft sepiahaften, dann wieder ins Olivtönige, Grünliche, schließlich Bläuliche changierenden Schattierungen – als Kolorist wirkte der Spanier Sergio Sedyas Román – spiegeln sie präzise die trostlos-beklemmende Atmosphäre, die schon vor Bartlebys Auftauchen in der Kanzlei des Erzählers geherrscht haben muss.
Sie ist der bestimmende Ort der Geschichte, doch überwindet Munueras Blick wiederholt diese engen Raumgrenzen, wechselt hin zu Straßenszenen im alten Manhattan, ja vedutenhaften Ansichten der emporwachsenden New Yorker Skyline.
Die Figuren haben fast durchweg eine Tendenz zur Karikatur – am wenigsten noch der traurig-weltabgekehrte, von perspektivloser Melancholie umflorte Titelheld.
Man glaubt es auch gern, dass Munuera zu einem seiner Vorbilder den Asterix-Zeichner Albert Uderzo zählen soll: Die für das Bürogebäude der Kanzlei zuständige Putzfrau wie auch Bartlebys Kollegen Turkey und Nippers müsste man nur in altgallische Kostüme stecken. In jenem berühmten kleinen Dorf fielen sie durchaus nicht auf.