Ausstellung im Museum für Architekturzeichnung: Sir John Soane und die dorische Ordnung

Architektur bedeutete bis weit ins 20. Jahrhundert hinein die Befolgung von Regeln. Wie ein Bauteil auszusehen hatte, wie aus Bauteilen ein Gebäude zusammenzufügen war, musste Schritt für Schritt eingeübt werden, ehe das Erlernte angewendet werden konnte. John Soane, der bedeutendste Architekt Englands zu Beginn des 19. Jahrhunderts, hat viele Jahre an der Royal Academy, die damals noch eine Lehranstalt war, Architektur unterrichtet.

Was seine Vorlesungen heraushob, waren die großen, noch aus den hinteren Reihen des Saales gut zu erkennenden Zeichnungen, die er zu seinen Ausführungen vorführen ließ. Insgesamt sind um die 1500 solcher Lehrzeichnungen entstanden, angefertigt von Zeichnern aus Soanes gut beschäftigter Architekturpraxis.

Dreißig Unterrichtsblätter sind jetzt unter dem Titel „Modelle der Schönheit, Harmonie und Perfektion“ im Museum für Architekturzeichnung der Tchoban Foundation zu sehen. Sie handeln von der Säule, diesem zentralen Bauteil der klassischen Antike. In Athen und Rom waren Säulen, gebildet bis auf die dorisch genannte Form aus einer Basis, immer aber aus einem Schaft und obenauf einem Kapitell, ein Grundelement insbesondere des Tempelbaus als der vornehmsten Bauaufgabe.

Das einzige aus der Antike überlieferte Architekturlehrbuch, das der kurz vor der Zeitenwende verfassten „Zehn Bücher“ des Vitruv, nennt vier Säulenordnungen, denen sich in der Renaissance eine fünfte zugesellte. Sie heißen dorisch, ionisch und korinthisch, dazu kommen die im alten Rom beliebte Kompositordnung und später aus der Frührenaissance die toskanische.

Soane ist kein Dogmatiker, sondern Empiriker

Soane konzentriert sich auf die drei erstgenannten, griechischen Ordnungen. Aber er ist kein Dogmatiker, sondern Empiriker: Was er den Studenten vorführt, sind Beispiele der Verwendung solcher Säulen, möglichst gezeichnet anhand der Originalbauten.

Die hat Soane als junger Absolvent auf seiner mit Stipendium von 1778 finanzierten, zweijährigen Reise gen Süden gesehen und sorgsam abgebildet, um mit solchem Schatz ein ganzes Berufsleben zu bestreiten.

Die Blätter, die das wunderlich verschrobene Sir John Soane’s Museum aus London nach Berlin ausgeliehen hat, zeigen überall die lenkenden Spuren des großen Architekten, die seine Zeichner dann auszuführen und farbig zu fassen hatten. Sie entstanden ab 1806, als Soane, immerhin bereits 53-jährig, zum Professor an der Akademie berufen wurde, und reichen zeitlich bis gegen 1819.

Soanes Epoche machte sich Gedanken über die Herkunft und Entwicklung der Architektur. Gängig war die Mitte des 18. Jahrhunderts von dem Franzosen Laugier unter Rückgriff auf Vitruv verbreitete Theorie der „Urhütte“, einem aus Ästen und Zweigen aufgerichteten Schutzbau, der, wen wundert’s, bereits zimmermannsmäßig gefügt ist und gewissermaßen nur noch in Stein übersetzt werden musste, um zu einem griechischen Tempel zu werden. Auch Soane hat den klassischen, von Säulen umgebenen Tempel so herleiten wollen. Ähnliche Natur-Analogien wurden für die Formen der Kapitelle herangezogen.

Ein einziger Bauentwurf Soanes ist in der Ausstellung zu sehen, der Entwurf einer „triumphalen Brücke in dorischem Stil“ von 1799, aber zurückgehend auf seinen akademischen Siegerentwurf von 1776. Die Brücke, eher ein komplexes Bauwerk, das mit seinen tragenden Bögen eher zufällig über einem Gewässer steht, hätte nie gebaut werden können.

Sie ist ein Bravourstück, um die Fähigkeit des Architekten zu zeigen, aus den erlernten Säulenordnungen etwas ganz Eigenes zu schaffen. Aber um überhaupt schöpferisch sein zu können, muss man sich – und das zeigen die ausgestellten Blätter –durch die spröde Materie des Lehrstoffs hindurcharbeiten.

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